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Jasmin Ramadan Einfach gesagtApokalypse ohne Cliffhanger

Verstehe nicht, warum es Mini-Serien gibt, die sind doch sowieso am Stück verfügbar!“, sagt der Freund und zerpult sein Croissant.

„Was gibt es daran nicht zu verstehen?“, fragt die Freundin und drückt eine Zitrone über ihrem Espresso aus.

„Ich weiß, was du meinst!“, sagt die andere und blinzelt in den trüben Himmel, „warum ist es nicht gleich ein Film?“

„Genau!“, ruft der Freund, „warum nicht einfach ein sechsstündiger Film?!“

„Und was ist mit den Cliffhängern?“

„Ja, stimmt, das ist irgendwie jedes Mal aufs Neue cool, wenn die Spannung am Ende krass steigt und du kannst direkt die nächste Folge gucken!“

„Früher musste man ’ne Woche warten!“

„Spannung aushalten hatte noch mentalen Style, was soll der Quatsch, wenn direkt die nächste Folge lädt? Du musst nicht mal mehr Play drücken!“

„Aber wer hat die Zeit, einen so langen Film zu sehen?“

„Mini-Serien guckt man doch auch mal am Stück weg.“

„Fühlt sich aber anders an, durch die Unterbrechungen, Episodentitel, den wiederkehrenden Vorspann und so.“

„Du weißt, du kannst jederzeit aufhören.“

„Einen Ultralangfilm könnte man aber auch selber unterbrechen, ist ja nicht wie im Theater, da kannste nicht mal eben Stopp drücken.“

„Das längste Theaterstück dauerte eine Woche, also Tag und Nacht. Im Iran der Siebziger.“

„Klingt qualvoll.“

„Ist Theater nicht ohnehin tendenziell was für Leidenslustige?“

„Besser sieben Tage Kunst als all der andere Scheiß, der nicht aufhört.“

„Ja, stimmt, nichts hört wieder auf, kommt bloß neues Grauen hinzu.“

„Dauerte der Dreißigjährige Krieg eigentlich wirklich dreißig Jahre?“

„Warum sollte er sonst so heißen?“

„Was weiß ich, vielleicht wurde da auf oder abgerundet.“

„Damit das schöner klingt?“

„Worte machen die Welt erst rund.“

„Ist sie das nicht ohnehin?“

„Das Weltgeschehen ist weder rund noch kurz und knackig.“

„Man kann sagen, was man will, Veränderung bringt das nicht.“

„Kommt drauf an, wer was wann sagt und unter welchen Umständen und in welchem institutionellen Kontext oder Land.“

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadanist Schrift­stellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman „Reality“ ist bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Kannste von Verschwinden.“

„Sagste ‚Ja‘, biste verheiratet.“

„Sagste ,Stopp Faschismus!‘, passiert nix.“

„Free Palestine.“

„Bring them home.“

„Make Love, not War!“

„There is no Planet B.“

„Atomkraft, nein danke.“

„Voll höflich vom Ding her.“

„Vielleicht ein guter Trick.“

„AfD, nein danke.“

„Ja, bitte gern.“

„Aber was soll man sonst machen, statt reden und rufen, benennen und wortwörtlich anprangern?“

„In der Wiederholung liegt die Würze.“

„Es gibt ja meist noch Bilder dazu.“

„Bilder und Sprache, unterm Strich alles, was wir haben.“

„Steter Tropfen höhlt den Stein.“

„Und wenn der Stein ein Gebirge ist?“

„Ist Theater nicht ohnehin tendenziell was für Leidenslustige?“

„Man muss die Machtmaschine unter Druck setzen, sonst tut sich gar nichts.“

„Unentwegt, sodass es richtig unangenehm wird.“

„Wie sich immer wieder über die gleiche Hautstelle reiben.“

„Immer wieder das gleiche Lied hören.“

„Die gleiche Serie gucken.“

„Das machen ja viele.“

„Um besser einschlafen zu können.“

„Keine bösen Überraschungen, man weiß, wie und wann es endet.“

„Und man weiß, dass es endet.“

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