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Wenn das Leben quietschharmonisch wäreKein Sex im Lande des Glücks

Das Land des Glücks ist irgendwie lauwarm. Aber über Träume zu sinnieren, ist viel schöner als über die Weltlage.

Zweisamkeit im Lande des Glücks: aber bitte ohne Sex Foto: Patrick Pleul/dpa

I ch habe einen wiederkehrenden Traum!“, sagt der Freund in Planten un Blomen auf der Wiese und hält sein Gesicht in die Sonne.

„Du rollst einen Berg hinab und kommst nie unten an?“

„Nee, wieso?“

„Das war der wiederkehrende Traum meiner Oma nach dem Zweiten Weltkrieg.“

„Ist sie je angekommen?“

„Bis zu ihrem nicht Tod nicht.“

„Und dein Traum?“ „In meinem Traum schmeiße ich alles hin und fahre ins Land des vollkommenen Glücks.“

„Wo ist das?“

„In meinem Traum ist es gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und ich frage mich dann, warum ich dort nicht schon längst hin bin!“

„Welcher Bus?“

Keine Parteien und Ideologien

„Da stand Linie Glück 3000.“

„Ergibt Sinn.“

„Und wie war es dort?“

„Ach, hm … gefällig, keine Parteien oder Ideologien, mittelwarm, kurze Schauer der Pflanzen zuliebe, Klima gut in Form, alle Menschen waren irgendwie ineinander verliebt und zugleich asexuell.“

„Aber was soll da noch groß passieren?“

„Ja, klingt nach Glücksbärchiland oder dem Teletubbie-Hügel!“

„Was soll das für ein Leben sein, wo alles quietsch-harmonisch ist?“

„Weichgezeichnetes überstieg immer schon meine Vorstellungskraft.“

„Was ist mit Geldverdienen und materieller Aufteilung?“ „Ja, da hört der Spaß meist auf.“

„Im Land des Glücks gibt es eine eigene Währung, die findet nach Gutdünken und telepathisch statt, man kann intuitiv nach Feeling beschließen, wie viel man geben will und die anderen erfassen das dann ebenso telepathisch.“

„Über Geld spricht man nicht – in Perfektion.“

Über Träume zu sinnieren, ist viel schöner als über das, was in den Zeitungen steht

„Das ist so typisch deutsch, vielleicht ist dein Glücksland ein Parallel-Deutschland.“

„Nee, also mit Deutschland hatte das faktisch nix zu tun.“

„Mensch Leute, das war ein Traum, da lässt sich nichts logisch aufdröseln.“

„Hach! Es ist schön, über Träume zu sinnieren, viel schöner als über die Weltlage, all das, was oben in den Zeitungen steht.“

„Was steht oben?“

„Na, Trump, Musk, Putin, Merz.“

„Ich klick’ noch mal durch, hm, hm, hier auch, da auch, ja, stimmt, hier auch.“

„Wie immer keine Frau on Top.“

„Nicht mal ’ne fiese Frau in wichtiger Position in den größten Schlagzeilen am Puls der Zeit.“

„In Glücksland wär’ da sicher mehr Ausgleich, nur eben in liebgespült.“

Unmengen von Geld

„Land des Glücks hieß es.“ „Mit oder ohne Genitiv, das Glück liegt nicht in einem Land innerhalb irgendwelcher Grenzen, man kann es nicht bereisen.“ „Oder durchwandern.“ „Auf ausgetretenen Wegen.“

„Was ist eigentlich dieses Glück?“ „Laut meinem Traum ein Ort der Gleichförmigkeit ohne Streit und Drama.“

„Keine Meinungs- oder Machtkämpfe.“

„Das gibt es ja nicht mal in der Welt der Tiere.“

„Haben Tiere eine Idee von Glück?“

„Ist Glück eine intellektuell differenzierte Angelegenheit?“

„Null, deshalb ist das Streben danach ja oft seltsames Verhalten.“

„Was meinst du?“

„Zum Beispiel das Anhäufen von Unmengen von Geld ohne Sinn und Zweck.“

„Macht?“

„Ist Macht gleich Glück?“

„Macht hält man fest, Glück ist Loslassen, oder?“

„Dann ging es im Traum deiner Oma vielleicht darum!“

„Den Berg runterrollen ohne Ziel?“

„Vielleicht ist Rollen das Ziel unserer Zeit!“

„So wie der Weg?“

„Ja, nur eben bergab.“

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Jasmin Ramadan
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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