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Jasmin Ramadan Einfach gesagtAlte weiße Weihnacht

Ein alter Mann ist doch kein D-Zug!“, sagt der Mann an der Supermarktkasse und packt gemächlich seine Sachen ein.

„Sie haben ja die Ruhe weg, schon alle Geschenke bei Amazon bestellt?!“, ruft eine Frau von hinten.

Der Mann verschränkt die Arme:

„Amazon, schöne neue Welt, außer Kapitalismus mal wieder nix gewesen! So wie Weihnachten, ignorier ich alles weg.“

„Auch das andere Leute in Eile sind!“

„Mama, was ist ein D-Zug?“, fragt ein Mädchen.

Der Mann antwortet: „Der galt mal als das Neuste vom Neusten, das Schnellste vom Schnellsten.“

„So wie das I-Phone?“, fragt das Mädchen.

„Magie der kapitalistischen Imagination“, murmelt eine junge Frau.

„Fauler Zauber, neuerdings mit Brokkoli-Glitzerkugeln.“

„Fast 20 Euro das Stück.“

„Abzocke mit Glitzerstaub auf Aluminium.“

„Der ganze Betrug startete mit einer Frau, die ohne Sex schwanger wurde.“

„Was ist Sex?“, fragt ein Junge.

„Haben Sie zu Hause kein Internet?“, fragt die Kassiererin.

„Unser Kind darf noch ein bisschen Kind sein, bevor es mit dem ganzen Gedöns überfordert wird.“

„Aber es lebt doch hier auf Erden, erklären sie ihm bloß rechtzeitig das Internet, Alkohol, Sex und Populismus.“

„Und dass es keinen Weihnachtsmann gibt.“

„Und keine guten Weihnachtsfilme!“

„Nur schöne Menschen, die sich schön ­verlieben.“

„Es gibt keinen Weihnachtsmann?“, fragt der Junge mit großen Augen.

„Natürlich nicht“, sagt der Mann und die Mutter schnaubt:

„Warum müssen alle so drauf sein wie Sie?“

„Warum belügen Sie ihr Kind?“

„Ich lüge nicht, ich lasse ihm die nachhal­tigen Geschichten!“

„Was ist der Mehrwert?“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. 2023 ist ihr Roman „Auf Wiedersehen“ bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert.In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Ja, echt, ein alter weißer Mann bringt Geschenke, falls man immer brav war.“

„Kein lebenstauglicher Lerneffekt.“

„Wenn man brav ist, kriegt man noch lang keinen materiellen Segen dafür.“

„Nicht mal eine Gehaltserhöhung.“

„Was ist eigentlich brav?“

„Nett für Kinder?“

„Untergeordnet für Kinder.“

„Wenn man sich das ganze Jahr über unterordnet, bekommt man eine Brio-Bahn vom ­alten weißen Mann?“

„Ich will ein Barbie-Haus“, sagt der Junge.

„Na, das ist doch mal erfrischend erfreulich“, sagt der Mann.

„Was ist daran erfreulich, dass er etwas will, was von falschen Schönheitsidealen geprägt ist, mit kleinteiligen Gesichtern, die immer lächeln und einer Körperanordnung, die real nicht in der Lage wäre, zu stehen oder Organe zu beherbergen.“

„Nicht zu vergessen: die genitalen Nullstellen beider Geschlechter.“

„Ist doch witzig.“

„Realismus ist kein Muss.“

„Kinder haben noch genug Zeit, die Wirklichkeit zu raffen.“

„Die Konsumwelt zu entzaubern und zu ­hinterfragen.“

„Unterhaltsam ist Kapitalismus ja.“

„Und dessen Prot­ago­nis­t:in­nen erst.“

„Magie der kapitalistischen Imagination“, murmelt eine junge Frau

„Wie sind eigentlich die Familienverhältnisse des Weihnachtsmannes?“

„Er wurde bereits alt von einer Schneeflocke geboren und ist asexuell.“

„Warum muss nun sogar der Weihnachtsmann gelabelt werden?“

„Außer den Ritualen bleibt nix beim Alten.“

„Gibt jetzt aber auch vegane Braten und so.“

„Na, es werden noch immer ziemlich viele tote Tiere aufgetischt.“

„Weihnachten ist ein Schlachtfest.“

„Moral ist, wenn man trotzdem isst.“

„Unterm Strich ist alles eine Frage der ­Verdauung.“

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