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Jasmin Ramadan Einfach gesagtWas guckst du?

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta-Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-­Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

Das ist ein ganz neues Schamgefühl, so ganz ohne Maske!“, sagt die eine Freundin am Kanal und zündet sich eine Zigarette an.

„Aber ist doch gar nicht ganz ohne, ist doch noch da!“, sagt eine andere.

„Doch, bei der Arbeit dürfen wir jetzt ganz ohne, und es fühlt sich echt genauso an: oben ohne!“

„Stimmt, geht mir auch so“, sagt eine weitere und kippt Tonic zum Gin in den Pappbecher. „Mir fehlt der Schutz-Schnickschnack, ich fühl mich plötzlich völlig entblößt!“

„Und was man bei anderen alles im Gesicht erkennt, zum Fürchten intim!

„Das verblödete Grinsen, das anbiedernde Lächeln oder der mürrisch verzogene Mund, alles überpräsent, wer will das noch?“

„Ich fühl mich wieder wie damals, als meine Eltern mich mit 13 zum Nudistencamping mitgeschleift haben!“

„Na, komm, nackt als Pubertierende oder jetzt maskenlos unter Kollegen, das ist schon ’ne andere Nummer!“

„Geht so, da sind neue dabei, die haben mich noch nie oben ohne gesehen, und dann starren die mir krank neugierig ins Gesicht und ich starre zurück und ich frage mich: Hat mein Gegenüber sich mich schöner oder hässlicher vorgestellt?!“

„Echt? Der eitle Aspekt beschäftigt dich?“

„Ja, für mich ist das zurzeit der totale Intimitätsschock, das Geglotze auf mein gesamtes Gesichtsarmaturenbrett!“

„Und alle lächeln hysterisch, weil sie gar nicht mehr wissen, wie sie ohne Maske sonst ihre wahren Emotionen verbergen könnten!“

„Stimmt, das Gesicht ist die neue Intimsphäre!“

„Hattet ihr mal Sex mit Maske?“

„Ich hatte seit Corona gar keinen Sex mehr.“

„Was? Warum das denn nicht? Du sagtest doch immer, du seist ohne vollkommen unausgeglichen.“

„Das war ein Irrtum, genauso war es ein Irrtum, dass die Maske etwas Negatives ist, und seit ich während Corona angefangen habe, ständig Podcasts zu hören, finde ich Männer ein bisschen eklig, kann aber nicht aus meiner Hetero-Haut.“

„Und wieso?“

„Die labern früher oder später alle über ihren Stuhlgang, und das gern ausführlich und mit Nachdruck!“

„Ist mir auch schon aufgefallen, Unterhaltungs-Podcaster jeder Generation machen das!“

„Vielleicht entstand das während Corona als deren Ersatz für Intimität? Anale Phase reloaded in einer entmündigten Lage?“

„Nee, das scheint mir nicht kindlich harmlos, eher penetrant, Richtung Verbal-Exhibitionismus!“

„Ach komm, jetzt sei nicht so verklemmt!“

„Ich bin null verklemmt, aber seine Scheiße soll mir bitte keiner um die Ohren hauen!“

„Würdet ihr lieber mit Jan Böhmermann oder Oli Schulz schlafen?“

„Wieso fragst du so einen Stuss?“

„Weil ich das während Corona ständig gefragt wurde!“

„Und?“

„Hm.“

„Ich frag mich immer, wer von beiden der Intelligentere ist!“

„Und?“

„Hm.“

„Ist das das ultimative Sexauswahlkriterium?“

„Die labern früher oder später alle über ihren Stuhlgang, und das gern ausführlich“

„Gibt es ein besseres?“

„Klar, wer sieht ohne Maske besser aus?“

„Dann eher Micky Beisenherz!“

„Wieso reden wir jetzt über Männer, haben wir nichts Besseres zu tun?“

„Es wird eben Sommer!“

„Das macht Angst.“

„Alles scheint möglich.“

„Und gerät aus den Fugen!“

„Wo soll das bloß hinführen?“

„Dahin, wie es vorher war?“

„Vorher fällt aus, wegen is’nicht mehr.“

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