Jasmin RamadanEinfach gesagt: Was anderes denken
Um Gottes Willen, es ist überall!“ Sagt die Freundin und starrt auf ihr Handy. Wir sitzen an der Alster auf einer Bank, die Innenstadt wirkt leergefegt.
„Das Coronavirus?“
„Das Thema! Egal, welche Seite ich anklicke, sogar bei Prominews!“
„Dann lass uns über das Wetter reden: Erstaunlich warm heute.“
„Da frage ich mich sofort: Ist das Scheißvirus wärmeempfindlich und stirbt gegen Mai, Juni sowieso aus? Dann fällt mir ein, dass es einen Kranken in Kalifornien gibt und da ist es doch nun wirklich immer warm! Vielleicht ist das Virus unabhängig von allem und absolut flexibel, ein autonomes Superheldenvirus!“
„Du bist ja völlig drüber, jetzt leg doch bitte mal dein Telefon beiseite und guck aufs Wasser zu den friedlichen Enten.“
„Ente müsste man sein, die wissen von nichts! Ich hab echt nichts anderes mehr im Kopf, dabei bin ich sonst gar kein ängstlicher Typ. Eher beunruhigend angstfrei.“
„Dann freu dich doch, dass dich noch was aus der Ruhe bringen kann, das ist doch gut. Angst ist ja wohl eigentlich ein gesunder Schutzreflex.“
„Ja, aber Panik nicht, ich weiß gar nicht, was mit mir los ist, ich sehe in jedem Menschen einen potentiellen Krankheitsüberträger, früher hatte ich solche absoluten Gefühle nur gegenüber Tauben!“
„Was macht dir denn so eine Angst? Eigentlich ist es doch nur ein Risiko von etlichen, das ganze Leben ist ein Risiko, es führt nachweislich zum Tod.“
„Ha ha. Du nimmst mich nicht ernst.“
„Aber ist doch wahr, was ist jetzt schlimmer daran als am Üblichen?“
„Na, das Unsichtbare, Unbekannte, Uneinschätzbare. Guck mal, da die Taubenscheiße, die fass ich eben nicht an und wenn man die wegputzt, ist die weg. Aber dieses Virus kann man nicht wegputzen, weil man es nicht sieht und weil es an anderen Menschen klebt. Man müsste alle Menschen wegputzen, um sicherzugehen. Und alle Türklinken weltweit entfernen.“
„Eine Welt ohne Menschen und Klinken, irgendwie schön.“
„Du nimmst mich nicht ernst.“
„Weißt du, das Virus will dir eigentlich gar nichts Böses, das tut nur, was es tun muss, das kann einfach nicht aus seiner Haut.“
„Haben Viren Häute?“
„Vermutlich nicht.“
„Warte, ich google das.“
„Fass dein Handy nicht an.“
„Ja, ist auch besser so, so ein Handy ist eine extreme Bazillenschleuder!“
„Mensch, dir ist ja nicht zu helfen.“
„Ich desinfiziere mein Handy seit Tagen mit Essig, weil alles andere zum Desinfizieren ausverkauft war.“
„Mit echtem Balsamico?“
„Apfelessig.“
„Na, der soll ja gegen alles helfen, aber wenn das mal nicht aufs Display geht.“
„Weißt du noch Ehec damals?“
„Ja! Da haben wir Blattsalat abgekocht.“
„Das war albern.“
„Naja, man kannte die Ursache nicht, man wusste nicht, wo es drauf sitzt, nur, dass es was zu essen sein muss.“
„Eigentlich war das noch ätzender als das jetzt.“
„Es sind viele gestorben.“
„An Corona ist in Deutschland bis jetzt noch niemand gestorben.“
„An Nazis schon.“
„Lass uns an was Schönes denken.“
„Mir fällt nichts ein.“
„Betrinken wir uns? Alkohol desinfiziert.“
„Nee, da passt man ja dann gar nicht mehr auf und verliert jegliche Furcht.“
„Perfekt.“
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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