Jasmin RamadanEinfach gesagt: Punkt Punkt Komma Strich
„Wofür braucht man eigentlich noch das Semikolon?“, fragt der Kollege vor der Bar, in der gerade ein Poetry Slam stattfindet.
„Wozu braucht man eigentlich noch Poetry Slams?“, fragt die Journalistin.
„Tut mir leid, ich wusste nicht, dass das hier heute ist“, sagt die Freundin, die uns hergelotst hat.
„Ist doch rührend, die betrunkene Begeisterung über so ein bisschen Gequatsche, angenehm unelitär.“
„Atmosphärisch quasi das Gegenteil des Semikolons, das ist so oll wichtigtuerisch.“
„Naja, eigentlich schade drum, es ist ein Satzzeichen, bei dem man sich nicht strikt entscheiden muss.“
„Eher ein Satzzeichen für Leute, die nie auf den Punkt kommen, auch im Leben nicht.“
„Ich denk auch, man sollte sich für Punkt oder Komma entscheiden, ein Semikolon ist irgendwie ein verklemmter Punkt.“
„Oder ein theatralisches Komma.“
„Was ist so falsch daran, wenn man keine harten Schnitte mag? In Text und Leben.“
„Eben – wie der Jahreswechsel, der ist mir immer zu abrupt, da ist dann ein großes Feuerwerk – wie so ein hysterischer Doppelpunkt und Knall auf Fall ist 2020 und du bist eigentlich mit nichts fertig geworden, obwohl das der Plan war.“
„Schön wären vorher noch ein paar Gedankenstriche.“
„Für die Gedankenstriche gibt es doch die Zeit zwischen den Jahren.“
„Da ist man ja nur betrunken oder bräsig.“
„Ich hab in meiner Dissertation ständig Semikolons benutzt, war ganz hilfreich“, sagt die Geologin.
„Aber die hast du doch nie fertig geschrieben.“
„Das lag aber nicht an den Semikolons, sondern an meiner Trennung von Tillmann.“
„Richtig, das war so 'ne inkonsequente Semikolon-Trennung, Mensch, hat sich das gezogen, ihr habt einfach keinen Punkt gemacht.“
„Ich find das Semikolon ganz apart, es ist eine lässige Abgrenzung“, sagt die Deutschlehrerin.
„Aber da tut es doch auch ein Komma.“
„Nee, das Komma ist so lasch, so beliebig.“
„Aber jeder kennt die Regeln!“
„Ach ja?!“, sagt die Deutschlehrerin, „soll ich euch mal spontan abfragen?“
„Also, ich mag das Semikolon, aber ich traue mich nie, es zu benutzen, weil ich nicht die einzige sein will, die es benutzt“, sagt die Bibliothekarin.
„Thomas Mann hat es ständig benutzt, der hatte aber auch raus, wie man alles brillant in die Länge zieht.“
„Wenn überhaupt, hat das Semikolon noch was in Essays oder Lyrik zu suchen, da kann man machen, was man will und niemand braucht das verstehen.“
Die Journalistin mischt sich ein:
„Ich hab das oft bei Kollegen beobachtet, die Probleme haben, zum Abschluss zu kommen, die immer zu lange Texte abgeben, Verkappte, die alles überkonstruieren, bei denen sich alles staut. So einer hat mir mal nach Jahren seine Liebe gestanden – ich hatte keine Ahnung, ich dachte sogar, der ist vielleicht schwul.“
„Jetzt lasst uns doch mal einen Schnitt machen, wieder reingehen und froh und munter sein.“
„Aber wofür braucht man das Semikolon heutzutage denn nun noch wirklich?“
„Na, ganz einfach, für das, was Thomas Mann sicher nie verwendet hätte, hätte er ein Smartphone gehabt!“
„Was meinst du?“
;-)
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen