: James Dean im Regen
HÖREN ODER SEHEN In Spuckweite des Flughafens Tegel gibt es wieder ein Autokino. Zur Eröffnung lief der Autofilm „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ in einer putzigen Synchronfassung. Geknutscht wurde auch
VON JENNI ZYLKA
Die letzte Reihe wird „Lover’s Lane“ genannt. Hier legt der junge Mann, nachdem er sich auf der Rückbank vorsichtig an die junge Frau neben ihm herangeschubbert hat, mit einem gespielten Gähnen den Arm um ihre Schultern. Beider Augen richten sich auf die Leinwand in 30 Meter Entferung, die markerschütternden Horrorfilm-Schreie aus dem Autoradio werden ignoriert, Popcorn wird gekaut. Schließlich ist man nicht wirklich wegen Kintopp hier: Wenn etwas die spießige Verklemmtheit, gepaart mit der Automobilverrücktheit, der USA in den 50er Jahren repräsentiert, dann das Autokino. Hier ist man allein in der Öffentlichkeit, in seinem abgeschlossenen Raum, fernab von Eltern- und Anstandswauwauaugen, konsumiert Kultur und Kinofraß, eventuell sogar von rollschuhlaufenden Minirockkellnerinnen serviert, und mit dem meterlangen Angeberschlitten der Eltern dort zu stehen, wärmt einem das pubertäre Herz.
Mickrige Modelle
In Berlin, wo – wie überall in Deutschland – wegen mickrigerer Wagenmodelle, weniger strenger Datinggewohnheiten und Elternvorschriften und schlichtweg geringerer Fläche die Autokinokultur nie ganz ins Rollen kam und die Veranstaltungsorte mit den zurückgehenden KinobesucherInnenzahlen nach und nach geschlossen wurden, feierte am Freitag eines seine Wiedereröffnung: In Spuck- und Maschinenstartgeräuschweite vom Flughafen Tegel sollen nach fast einem Jahr Schließung wieder Pärchen knutschen, direkt hinter dem Festplatzgelände Reinickendorf, bislang noch ohne Ausschilderung. Man muss sämtliche „Keine Durchfahrt“-Schilder ignorieren, um den schlammigen Platz zu finden, auf dem neben denen, die die Openingparty samt „Denn sie wissen nicht, was sie tun“-Vorführung erleben wollten, auch noch Lkws und leere Karren ungeklärter Herkunft rosten.
Die Leinwand, kleiner als erwartet, steht am Rande eines Waldstücks, die Frequenz 88,4 MHz ist nur mit Feintuning einzustellen, aber eigentlich ist die Idee, das Kino in der Nähe einer Autobahnabfahrt einzurichten, nicht dumm: So hat man die Autobatterie auf der Avus wenigstens ein bisschen aufgeladen. Dumm allerdings, dass es, wie es in diesen Sommerzeiten üblich ist, immer wieder wie aus Kübeln schauert, während die komische deutsche James-Dean-Synchronstimme sich mit dem Vater streitet und voll loderndem Teenage Anger aus dem Haus stürzt. Denn die Scheibenwischer machen den ohnehin sehr knarzenden Empfang fast ganz zunichte – also entweder Hören oder Sehen.
Fährt man ein altes, dem Anlass angemessenes, flacheres Auto, beispielsweise einen Opel Manta von 1972 oder einen Peugeaut 504 und steht nicht in der ersten Reihe, dann muss man sich ohnehin fürs Hören entscheiden, denn sämtliche moderneren Modelle, vor allem die SUVs, jene hässlichen Bastarde aus Jeep und Pkw, sind so hoch, dass die Sicht auf Jim, Judy, Buzz und Plato eh eingeschränkt ist.
Aber man ist, wie gesagt, nicht wegen Kintopp hier. Eher wegen Popcorn: Der unebene Boden macht Rollschuhfahren unmöglich, anscheinend arbeiten tatsächlich ein paar Rockabellas in Polkadots-Kleidern, doch ans Fenster kommen sie nicht. Sie stehen an der Seite, bei Bier-, Weingummi- und Schokonüsse-Büdchen, ein paar Unerschrockene haben sich Liegestühle herangezogen und gucken schläfrig unter dem Regen trotzenden Sonnenschirmen auf die Leinwand. Dort erzählt einer der Halbstarken gerade, dass seine Eltern sich immer zanken, und dieses niedliche „zanken“ ist nur einer der vielen Ausdrücke, mit denen die Synchronfassung des Films ihr Alter verrät: Um Backpfeifen geht es im Weiteren, und während Jim und Judy sich züchtig annähern, spielt im Radio eine „Negerkapelle“.
Tentakel verhaken
Zwischen den Autos geht es dagegen, die dunklen Wolken machen gerade eine kurze Pause, inzwischen ein bisschen amtlicher zur Sache: Zwei leidenschaftliche Menschen verhaken ihre Tentakel ineinander, so dass man ihnen fast „Get a car!“ zurufen möchte, in Abwandlung des „Get a room!“, das der Amerikaner gern abfällig zischt, wenn in der Öffentlichkeit geschmust wird. Doch hier ist man nicht so, die beiden Lovebirds werden schon ihre Gründe haben (Smart?), die sie unter den freien, feuchten Himmel ziehen lassen, und es schert ja niemanden, nicht in Ländern, in denen man auf der Straße Bier trinken und rauchen darf. Und so schaut man den Film weiter und guckt zwischendurch dicken, silbernen Audis beim Ausparken zu.
Der Unterschied zum Freiluftkino besteht tatsächlich nur in der relativ wetterfesten Überdachung und der Privatsphäre – aus einigen Autos qualmt es duftend, und irgendwie hat es etwas extrem Gemütliches, mit drei anderen Menschen auf engstem Raum zusammen Radio zu hören und die „Lost Generation“ zu studieren. Außerdem soll man die Autos fahren, solange sie nicht abgewrackt sind. In ein paar Jahren hat sich das Thema „Privatauto“ dank Krise, Benzinpreisen und Ökovorschriften ohnehin erübrigt, und in einem Linienbus ist es wahrlich nicht dasselbe.
Autokino Berlin, Kurt-Schumacher-Damm 207, Programm unter www.autokino24.de