: Jahrmillionen verhackstückt
■ Im Bremer Europahafen lagern 55 Kilometer Meeresgrund: In Bohrkernen, an denen Wissenschaftler der Erdgeschichte nachspüren / Willkommen zur „sampling party“
elten und Zeiten, versammelt im Schuppen 3 des Bremer Europahafens. Aber was heißt schon „Schuppen“im Hafen? Das sind riesige Hallen in denen einst das Leben tobte. Und heute? Versteinerte Regsamkeit, geschlossene Tore – fensterlose Backstein-Architektur wartet auf norddeutsche Bergsteiger. Plötzlich duftet es köstlich nach einem Clementinen-Altöl-Gemisch, ja, irgendwo hinten steht noch ein Lastzug und lädt auf.
Im Schuppen 3 hingegen wird nur noch abgeladen. Matsch und Gestein. Oder Welten und Zeiten. Ganz nach Blickwinkel. Denn in den 55 Kilometern Meeresgrund, die sich in Form feiner Bohrkerne in der Halle stapeln, tobte das Leben einst so lustig wie im steingewordenen Europahafen.
Gesammelt werden die Bohrkerne im „Ocean Drilling Program“(ODP) von Forschungseinrichtungen aus 19 Ländern, die gemeinsam nach der Vergangenheit von Mutter Erde bohren. Auf dem Forschungsschiff „Joides Resolution“war im letzten Herbst ein internationales Team von 30 Wissenschaftlern im Südatlantik unterwegs und brachte weitere acht Kilometer Meeresgrund mit nach Bremen. Die werden diese Woche im Internationalen Bohrkernlager der Uni Bremen bei einer „sampling-party“unter die Lupe genommen.
Zum Beispiel unter die Lupe von Barbara Donner von der Bremer Universität. Wie es sich für eine Geologin gehört, interessiert sie das Leben in litierter Form: Skelette im Versteinerungsprozeß. Ihren 400 Meter langen und zehn Zentimeter schmalen Bohrkern, den man vor vier Monaten vor der Küste Namibias aushob, verhackstückt sie alle 20 Zentimeter und lugt nach Foraminiferen, Einzeller-Skelettchen in Halbmilimetergröße. Im Virtuellen ihres Wissenschaftlerhirns verwandelt sie dann Raum in Zeit. Jedes 20-Zentimeter-Segment ein Jahrtausend. Das macht auf 400 Meter Länge immerhin Jahrmillionen. Und immer, wenn in den mit Erdtiefe sich langsam verhärtenden Segmenten eine der 45 Foraminiferen-Arten langsam verschwindet, beginnt die Geologin am Bildschirm innerlich zu frösteln. Denn dann, so weiß sie, beginnt wieder eine Kaltzeit in der Geschichte unserer Erde.
Klimaforschung, erklärt ihr Kollege Gerold Wefer, der als Meeresbiologe den Törn in den Südatlantik leitete, sei eines der wichtigsten Ziele des ODP. Mit allen zehn Fingern fährt er auf der Weltkarte dem Benguela-Strom vor der Küste im Südwesten Afrikas nach. Überraschenderweise sei der Bohrer hier, auf lumpigen 120 Metern unter dem Meeresgrund, auf Dolomitengestein gestoßen. Keine Frage, ein Energieschub muß damals über den Äquator gefegt sein.
Natürlich war der nicht annähernd so gewaltig wie die Auswirkung des Meteoriteneinschlags beim Golf von Mexiko – anno 65 Millionen Jahre vor Christus. Auch davon ist in dieser Woche ein geologisches Beweisstück aus dem Bremer Bohrkernlager ins Licht der Öffentlichkeit gebracht worden. Mit seinem grünroten Mittelstück sieht die zierliche Erdstange wie ein zu groß geratener Lutscher aus. Doch ein Kinderspiel war das nicht, was das Grau von hunderttausend Jahren, die im ersten halben Meter Bohrkern ruhen, plötzlich ins Farbige umschlagen läßt. Der Meteoriten-Einschlag produzierte mit einem Schlag eine zentimeterdicke Schicht grünlicher Schmelzpartikel; zart setzte sich darauf das rötliche Iridium des Meteoritenstaubs.
Siebzig Prozent aller Arten verbrannten damals; unter anderem die Dinosaurier – „die aber kränkelten nach heutigen Forschungen sowieso schon“, beruhigt Gerold Wefer. Erst langsam kommt oberhalb des katastrophischen Farbeinschlags der Bohrkern wieder zu seinem einheitlichen Grauton zurück. Ein paar Jahrtausende dauerte es noch, bis das Ökosystem wieder zur Ruhe kam.
Währenddessen dauert die „sampling-party“im Labor des Bremer Bohrkernlagers an. Leise dudelt der Radiorekorder, zwei Dutzend Wissenschaftler graben mit kleinen Plastikröhrchen im Schlamm, Ton und Gestein, um die Pröbchen in den nächsten Tagen in die Ozean-Institute der Welt zu schicken. Denn die Bohrkerne gehören nicht Bremen allein. Das Jahresbudget von 45 Millionen Mark kommt zur Hälfte aus den USA. Erdgeschichte gehört allen. ritz
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