■ Jahr für Jahr finden an deutschen Stränden wahrhafte Architekturwettbewerbe statt: Wer hat die schönste Burg? Ein neues Buch erzählt die über hundertjährige Geschichte dieser populären Baukunst, die sich heute im Niedergang befindet: Die S
Jahr für Jahr finden an deutschen Stränden wahrhafte Architekturwettbewerbe statt: Wer hat die schönste Burg? Ein neues Buch erzählt die über hundertjährige Geschichte dieser populären Baukunst, die sich heute im Niedergang befindet
Die Strandburg im Spiegel der Zeiten
„Die Strandburg“, so schreiben die Autoren einer verdienstvollen Kulturgeschichte dieser allzu vergänglichen Urlaubsprojekte, „jenes Resultat der Durchdringung von Fern- und Heimweh, in deren ruhendem Pol der Strandkorb die gewonnene Bodenständigkeit demonstriert, dient als Mittel und Dokument einer neuerworbenen Seßhaftigkeit, mit der ein eben noch herrenloser Ort als ein nunmehr besetzter, in Besitz genommener definiert wird.“
Das Forscherpaar Harald Kimpel und Johanna Werckmeister hat viele Belege, vor allem Postkarten, dafür gefunden, daß der von Männern dominierte Burgenbau in etwa mit der Reichsgründung (1871) und dem ersten Ansturm des Bürgertums auf die norddeutschen Seebäder zusammenfällt. Die Strandburgen sind eine rein deutsche Erfindung, ebenso wie der Sandkasten. Holländer und Dänen bekämpften sogar lange Zeit das deutsche Burgenbauen auf ihrem Territorium. Umgekehrt kann man sicher sein, wenn heute irgendwo auf der Welt, am Strand von Bali zum Beispiel, eine Sandburg steht, dann ist es eine deutsche. Nicht selten deuten außen am Ringwall liebevoll angebrachte Inschriften – wie etwa „Düsseldorf“ – bereits darauf hin: „Wo ,Düsseldorf‘ dransteht, ist auch ,Düsseldorf‘ drin“, bemerken dazu die beiden Forscher.
An der Nord- und Ostseeküste haben sie eine ganze Ornament- Ikonographie entdeckt, die „Attraktionen der unmittelbaren Umgebung (Marine-Ehrenmal Laboe)“ ebenso thematisiert wie „Aktualitäten des Tages (Fußball- Weltmeisterschaft)“, aber daneben gerne auch die maritime Fauna und Flora, einschließlich Meerjungfrauen, sowie bekannte Fernsehmoderatoren und Hollywood-Stars, bis hin zu Disney- Figuren und Schlümpfen.
Freizeitlandschaft als Bekenntnislandschaft
Beliebt sind aber auch die eigenen Namen, „Egon“ oder „Eva“ etwa, der lokale Fußballverein und stammesverbindende Parolen „Berlin grüßt Schleswig-Holstein“. Anfänglich wurde auf nahezu jeder Sandburg an deutschen Stränden noch die Reichsflagge gehißt, man verwendete vielfach die Namen deutscher Afrika-Eroberungen: „Damit wurde eine Freizeitlandschaft in eine Bekenntnislandschaft verwandelt“. Nicht zufällig sahen dann bald die Strände von Westerland und Wangerooge exakt so wie die Trichterlandschaften von Verdun und Douaumont aus oder umgekehrt: hier wie dort „wurde Front gemacht gegen die tückische Flut von außen“. Mit dem nationalsozialistischen „Kraft durch Freude“-Urlauber – dazu gehörten erstmalig auch untere Volksschichten – setzte sich die strenge und rechtwinklige Linie beim Burgenbauen durch, in ihren Muschel-Reliefs wurde nicht selten der Führer verherrlicht.
Nach dem Krieg fanden Ost- wie Westdeutsche wieder zur runden Burg zurück, wobei die Ost- Burgenbauer gelegentlich antikommunistische Anspielungen zur Landseite hin wagten: mit „Uns könn'se alle“ oder den Mainzelmännchen zum Beispiel. Auf den Sandburgen von Rügen und Usedom fanden sich dazu auch pragmatischere Hinweise in Muschelform: „Belegt bis...“
Seit 1920 etwa gibt es von den Kurverwaltungen ausgerichtete „Burgenwettbewerbe“. Dabei entfaltete sich insbesondere die Gattung „Motivburg“, bei der künstlerischen Umsetzung des Themas „Das deutsche Volkslied“ zum Beispiel, aber auch Zigarettenreklame („Overstolz“) war durchaus wettbewerbsfähig. Beim Volk der Dichter und Denker nimmt es nicht wunder, daß sich „dauerhafter Beliebtheit“ vor allem Gereimtes erfreute: „Müh' und manch' Leid der alten Erde / In Westerland vergessen werde“. Dazu wurden auch gerne Kronkorken verwendet.
Der „beste Burgenbauer der Welt“, der vielfach preisgekrönte Heinz Hähre, kommt natürlich aus Berlin. Er hat ein Buch mit praktischen Tips unter dem Titel „25 Jahre Burgenbau in Kalifornien“ geschrieben. Die jungen Strandburgforscher verdanken dem alten Hasen Hähre mehr, als sie in ihrem Buch offenlegen. Einig sind sie sich mit ihm aber wohl darin, daß „das Projekt Strandburg geeignet ist, der Verweildauer am Meeresstrand einen praktischen Sinn“ zu verleihen.
Damit erklärt sich jedoch auch bereits der derzeitige Rück- und Niedergang des Burgenbauens, der nicht allein auf den zunehmenden Vadalismus von eher oralfixierten und auf schnelle Ergebnisse hin orientierten „Beach-Jugendlichen“ zurückzuführen ist. Dazu hat erheblich auch die herrschende Animations- und Fitness- Welle im Verein mit dem Umweltschutzgedanken beigetragen, mit dem zum Beispiel auf Sylt das Burgenbauen regelrecht verboten wurde, was aus dem einstigen Burgenparadies ein ödes, nur noch von quietschbunten Joggern eilig durchquertes Stück Sandpiste machte. In Summa: „Die konstruktive Dimension, die dem Bauen am Strand einmal innewohnte, ist also heute weitgehend von destruktiven Aspekten überlagert.“ Helmut Höge
Harald Kimpel/Johanna Werckmeister: „Die Strandburg“. Marburg, Jonas 1995, 29,80 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen