Jagdausflug in Sibirien: Keine Schonzeit mehr für Gouverneure
Wenn Gouverneure in Sibirien zur Jagd laden, kann das Leben und Karrieren kosten. Von Riesenwildschafen, Promijägern und ein bißchen zuviel Wodka.
MOSKAU taz | Russische Journalisten leben bekanntlich gefährlich. Weniger geläufig ist, dass auch Gouverneure zu einer Risikogruppe gehören. Am Wochenende kamen der Gouverneur von Irkutsk, Igor Jesipowski, und sein Stellvertreter beim Absturz eines Hubschraubers der Marke Bell 407 am Baikalsee 100 Kilometer südöstlich der Gebietshauptstadt ums Leben. Die Ursachen sind noch ungeklärt.
Kaum hatte sich der Unfall herumgesprochen, teilte die Kanzlei in Irkutsk mit, der Gouverneur hätte sich auf einer Dienstreise befunden. An einem Feiertag in einem Hubschrauber, der einem Verwandten gehörte. Die Bürokratie in Sibirien ging auf Nummer sicher: wohl eingedenk der Turbulenzen, mit denen der Präsident der Nachbarrepublik Altai gerade zu kämpfen hat. Alexander Berdnikow ist schwer angeschlagen, seit im Januar in der Hochgebirgsregion ein Mi-171-Helikopter der Gaspromavia-Flotte an den Felsen des Tschernaja zerschellte. Sieben der elf Insassen starben. Altais Vizepremier Anatoli Bannich überlebte die Havarie, nicht die politische Demontage, die zwei Monate später erfolgte.
Staatsanwaltschaft und Umweltbehörde nahmen nur widerwillig Ermittlungen auf, obwohl bereits kurz nach dem Unglück verräterische Fotos im Internet erschienen. Außer Wrackteilen lagen blutige Tierkadaver an der Absturzstelle herum. Kundige Zoologen des WWF erkannten, dass die erlegten Tiere nicht die zum Abschuss freigegebenen Bergziegen waren. Für die besaßen die VIP-Jäger eine Lizenz, die allerdings mit der im Januar beginnenden Schonzeit ausgelaufen war. Die Kadaver gehörten der Spezies der Riesenwildschafe (ovis ammon), die auf der Roten Liste stehen. Von ihnen soll es in der Grenzregion zur Mongolei und China noch 300 Exemplare geben. Die Fluggenehmigung der Crew, so stellte sich heraus, galt auch nicht für diese abgelegene Bergregion. Da der Leiter der regionalen Flugsicherung jedoch auch unter den VIP-Jägern war, hatten die fliegenden Weidmänner nichts zu befürchten.
Der umgekommene Kremlvertreter Alexander Kosopkin wurde mit allen Ehren zu Grabe getragen. Höchstes Geleit für die Wildschützen machte die Umweltaktivisten im Altai misstrauisch. Die Untersuchungen würden wieder mal im Sande verlaufen, fürchten sie. Der aufgeflogene Jagdfrevel der Elitejäger sei nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs. Es kursieren auch Gerüchte, Altai-Präsident Berdnikow habe von der Unglücksstelle noch schnell Waffen und Kadaver beseitigen lassen. Tatsächlich seien mehr als 20 Wildschafe erlegt worden. Der ehemalige russische Chef-Umweltschützer, Oleg Mitwol, ist nach Einsicht einiger Untersuchungsprotokolle überzeugt, dass aus dem Hubschrauber mit einer Kalaschnikow geschossen wurde. Die Jagd aus der Luft und Einsatz von Schnellfeuerwaffen sind jedoch verboten. Überdies wurden auch noch Videoaufnahmen von der Staatsgrenze sichergestellt. Dies erfüllt den Tatbestand der Spionage.
Beim Versuch, die Beutetiere zu laden, schlug die Ausgleichsschraube des Heckrotors in einer unzugänglichen Senke gegen den Fels. Der Helikopter verschwand vom Radar. Aber nur, weil Vizepräsident Bannich dem verletzten Piloten verbot, nach Hilfe zu funken. Erst nach zwei Tagen trafen Retter ein. Bei Nachttemperaturen von minus 35 Grad war dies der sichere Tod für einige Verletzte.
Nur durch Zufall war Präsident Berdnikow nicht mit von der Partie, als die Maschine von der abgelegenen Hochgebirgsbasis der Regierung auf die Jagd ging. Er hatte am Vorabend zu tief ins Glas geschaut. Der Wodka rettete ihm das Leben. Waidmanns Heil!
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