: Ja, ja, damals auf den Weltmeeren
Wehmut angesichts der 150-jährigen Geschichte des „Norddeutschen Lloyd“ kommt in Bremen immer wieder auf. Jetzt bietet ein neuer Film Gelegenheit, mit der „Bremen IV“ und ihren schwimmenden Konsorten so richtig in Erinnerungen zu baden
Der Untergang des „Norddeutschen Lloyd“ per Fusion mit der Hamburger „Hapag“-Konkurrenz ist das Lieblingstrauma der BremerInnen. Umso schöner also, dass man sich die versenkten Herrlichkeiten jetzt in Gestalt einer Fernsehdokumentation von Susanne Brahms und Michaela Herold vor Augen führen kann. Die Filmemacherinnen von Radio Bremen konfrontieren spektakuläre Archivaufnahmen, etwa vom Stapellauf der „Bremen IV“ 1928, dem bis dato größten je in Deutschland gebautem Schiff, mit der Spurensuche in der Gegenwart. Und die hat, verglichen mit dem Charme eines Reichspräsidenten Hindenburg als wackelndem Zylindermännchen, hauptsächlich Ernüchterung zu bieten.
So hübsch wie bezeichnend sind zwei bürgermeisterliche Statements von 1970: Hans Koschnick, Bremer Landeschef, geriert sich als eifriger Förderer des Zusammenschlusses, im Gegenschnitt ist ein bemerkenswert breites Grinsen des Hamburger Amtskollegen zu sehen – als habe Herbert Weichmann geahnt, dass 2005 mit der Löschung des Bremer Firmensitzes der letzte formale Beseitigungsakt vollzogen würde.
Also lieber noch tiefer in die Vergangenheit tauchen: In die wunderbaren Aufnahmen des „Katapult-Flugzeugs“, das 1.000 Kilometer vor der US-Küste von Bord der „Bremen IV“ geschleudert wurde, um die Post ein paar Stunden früher ans Ziel zu bringen. Der Lloyd, groß geworden durch das Verschiffen von sieben Millionen Auswanderern, machte nach der Jahrhundertwende in Luxus: Viele Bilder belegen die legendäre Noblesse des Kreuzfahrtschiffertums, als Paradebeispiel des mondän Reisenden kommt Richard Tauber ins Bild: Der Startenor reiste 1931 mit der „Bremen IV“ zum Gastspiel in der Carnegie Hall. Im schon vor 1933 ziemlich zackigen „Wochenschau“-Stil wird Tauber an der Reling präsentiert. Ehe er ein Abschiedsliedchen schmettert, sagt er schneidig: „Ich freue mich darauf, in Amerika für die deutsche Kunst tätig zu sein.“ Zwei Jahre später wird er von der SA zusammengeschlagen.
Diesen Nachsatz gibt es im Film nicht, was auch völlig in Ordnung geht. Etwas seltsam mutet allerdings an, dass bei der ausführlichen Spurensuche in den ehemaligen Auswanderer-Hallen des Lloyd-Agenten Friedrich Mißler jeder Hinweis auf die „Nachnutzung“ des 3.000 Menschen fassenden Areals fehlt – als „KZ Mißler“, der ersten „Einrichtung“ dieser Art.
Andererseits greift der Film einige wenig bekannte Apekte auf: Etwa die extrem hohe Selbstmordrate beim Lloyd. Ende des 19. Jahrhunderts richtete die Bremer Bürgerschaft deswegen einen Untersuchungsausschuss ein – ein relativ rühmliches Beispiel staatlichen Handelns. Betroffen waren vor allem die Maschinisten beziehungsweise Hilfsheizer, die bei 65 Grad ununterbrochen Kohle zu schaufeln hatten. „Viele sprangen verzweifelt über Bord“, berichtet der Historiker Heinz-Gerd Hofschen den Filmemacherinnen.
Auch in der jüngeren Vergangenheit war die Arbeit für die Reederei trotz des gern beschworenen „Lloyd-Geistes“ kein Zuckerschlecken. Brahms und Herold haben etliche ehemalige Stewards ausfindig gemacht, die über den „militärischen Drill“ während des Dienstes zwischen fünf und 21 Uhr berichten. Was der Doku trotz allem fehlt, ist eine etwas umfassendere Einordnung der ökonomischen Bedeutung des Lloyd für Bremen. So gut wie alle Bremer Großindustrien wurden auf Initiative und mit den Mitteln des Lloyd gegründet: Stahlwerke, der Rüstungselektronikriese „SDN Atlas“, die „Norddeutsche Automobil- und Motoren AG“, die via Borgward zum Vorgänger des Mercedes-Werkes wurde, Bremens größtem Arbeitgeber.
Der Film liebt vor allem die Schiffsgeschichten, dramaturgisch geschickt hinein gewebt, vollzieht sich Stück für Stück eine Annäherung an die Wrackreste der „Bremen IV“. Nach deren bis heute ungeklärten Brand wurde der Rumpf in der Außenweser versenkt. Mit einem Kutter sucht das Filmteam im Nebel nach den letzten rostigen Strünken, um dann zu konstatieren: „Sie endet als Schrecken der Hobbysegler, von denen sich hier schon mancher das Boot aufgeschlitzt hat.“ Henning Bleyl
„Mythos Norddeutscher Lloyd“ läuft am 24. 12. um 1 Uhr früh auf Eins Extra. Eine DVD-Version ist bei www.editionen.biz erhältlich.