piwik no script img

Archiv-Artikel

JULIA GROSSE TRENDS UND DEMUT Peckham Pavilion

Die Sonne stand senkrecht am Himmel und die Kunstwelt zwängte sich unter die Schatten spendende Markisen, um ihre mittelmäßige Pasta mit kühlem Bellini hinunterzuspülen. Es waren die Eröffnungstage der Biennale in Venedig, und zwischen den Restaurants, in bester Laufnähe zu den Machtzentren Giardini und Arsenale, hatte sich eine kleine, temporäre Galerie platziert. Teure Beleuchtung, Holzboden, unspektakuläre Arbeiten. Vor der Galerie, die sie Peckham Pavilion getauft hatten, fläzten sich junge Briten in Röhrenjeans und mit asymmetrischen Frisuren.

Peckham Pavilion, das klang cool und einprägsam, doch war hier ernsthaft Peckham gemeint? Jener Südlondoner Stadtteil, der seit mehreren Gang-Morden in der Vergangenheit unter seinem Image leidet? In dem gleichzeitig, dank einer großen westafrikanischen Gemeinde, aber auch eine der interessantesten und vielfältigsten Mikroökonomien existiert? „Wir haben in diesem Stadtteil eine Galerie und unser Venedig-Projekt Peckham Pavilion genannt, weil es sich für uns hier sehr wie Peckham anfühlt. Die lebhafte Straßenatmosphäre aus Gemüseständen und Fischverkauf …“

Ein soziales Problemviertel in London mit einem gediegenen Hotspot in Venedig zu vergleichen, ist relativ haarsträubend. Vor allem aber ist es ein genialer Marketingtrick, um seinen eigenen Namen blitzschnell in den Kunst-Tratsch zu streuen: Vom Peckham Pavilion hatte nach ein paar Tagen fast jeder gehört. Und es zeigt, wie gut und fest die britische Kulturindustrie ihre kreativen Zöglinge tatsächlich im Griff hat. Sie sind jung, nicht besonders zornig und lernen bereits schon während ihrer Ausbildung, worum es geht. Effizienz, totale Professionalität.

PR-News der Hausbesetzer

In diesen Wochen verlassen wieder Scharen von ihnen die britischen Kunstakademien – keine in freier Lehre gereiften Absolventen, sondern 22-jährige Vollvermarktungsprofis. Kunstschaffen ist spätestens seit Tony Blair nur ein anderes Wort für eine Kulturindustrie, die in London jährlich Millionen anzieht und Millionen umsetzt. Kunsttempel wie die Tate Modern wirken nicht mehr wie normale Museen, sondern unternehmerische Institutionen.

Kürzlich bekam ich von einer Hausbesetzergruppe, die meisten von ihnen Kunststudenten, eine professionell aufgesetzte Pressemail zu ihren Veranstaltungen. Haben nun sogar schon Hausbesetzer ihre Presseabteilung? Hier in England ist das die ganz falsche Fragestellung. Wieso sollen Hausbesetzer keine PR-News versenden, wenn sie die Öffentlichkeit offensichtlich an ihrer Kulturproduktion teilhaben lassen wollen? Auch hinter der Stadtteilwahl der Peckham-Galeristen vermute ich reine Strategie, selbst wenn sie es leidenschaftlich abstreiten: Ihr Weg wird eines Tages in eine der großen Vorzeigegalerien und Institutionen führen. Bis dahin nutzen sie Peckhams kulturelle Vielfalt und demonstrieren lokales Engagement. Ob das den nigerianischen Gemüsehändler und kongolesischen Haarsalon von nebenan in irgendeiner Form interessieren, ist natürlich eine andere Frage.

■ Die Autorin ist Kulturreporterin der taz in London. Foto: Dominik Gilger