JOST MAURIN ZUR ERÖFFNUNG DER GRÜNEN WOCHE : Die Pestizid-Subventionierer
Manchmal können die tonangebenden Agrarpolitiker in Deutschland einem richtig Angst einjagen. Zum Beispiel Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, als sie vor kurzem den Anteil der Bauern am Treibhausgasausstoß auf 6 Prozent herunterrechnete. Das Kohlendioxid, das bei der Produktion der Mineraldünger und Pestizide anfällt, hat die CSU-Politikerin dabei einfach mal weggelassen. Denn sonst wäre die Landwirtschaft mit 13 bis 16 Prozent dreimal stärker für den Klimawandel verantwortlich als beispielsweise die Eisen- und Stahlindustrie. Und Aigner will Emissionsauflagen für die Bauern verhindern – trotz Warnungen vor dem Klimakollaps.
Aigners Rechenspiele kommen nicht von ungefähr, kurz bevor am Freitag die Grüne Woche in Berlin öffnet. Auf dieser weltweit größten Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau wird die Diskussion darüber an Fahrt gewinnen, wie die Europäische Union künftig ihre Agrarsubventionen verteilt. Ab 2014 braucht die EU ein neues Beihilfesystem, weil dann bisher geltende Gesetze auslaufen. Der Deutsche Bauernverband will, dass die Landwirte möglichst viel Geld bekommen, ohne dass sie dafür stärker als bislang auf die Natur achten müssen. Dabei fördert das derzeitige System vor allem große, agrarindustrielle Unternehmen, die der Umwelt schaden.
Sie profitieren von dem Prinzip, nach dem die EU derzeit das Gros der jährlich fast 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen verteilt: Wer viel hat, bekommt noch mehr. Die Direktzahlungen werden nämlich pro Hektar berechnet – ob der Bauer darauf ökologisch oder mit viel Dünger und Pestiziden wirtschaftet, spielt keine Rolle. So kommt es, dass riesige Agrarkonzerne Millionen von Euro erhalten, während kleine Biobauern mit eintausend Euro im Jahr abgespeist werden.
Dabei sind die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt immens – nicht nur, was das Klima angeht. Immerhin nutzen die Bauern 53 Prozent der Fläche Deutschlands. So sind Düngemittel aus der Landwirtschaft eine der Hauptbelastungen für Gewässer. In Deutschland kommen laut Umweltbundesamt mehr als 61 Prozent der Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft. Solche Nährstoffe sind dafür verantwortlich, dass in Seen Algen übermäßig wachsen und andere Arten verdrängen. Das sind Gründe, weshalb die Landwirtschaft der größte Feind der Artenvielfalt ist.
Natürlich gibt es schon Vorschriften etwa zum umweltfreundlichen Düngen; die EU verlangt auch, dass Landwirten die Subventionen gekürzt werden, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Aber es hat nicht viel gebracht: Immer noch werden Felder überdüngt.
Deshalb muss Brüssel das Beihilfesystem radikal reformieren. Ein sinnvoller Vorschlag kommt vom Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen: Bauern sollten nur noch Geld bekommen, wenn sie höhere Umweltstandards erfüllen als bisher gesetzlich festgelegt. Sie müssten zum Beispiel auf 10 Prozent ihrer Flächen mehr Natur erlauben. Das könnten etwa Hecken oder besonders artenreiche Weideflächen sein. Eine Extraprämie könnten Bauern bekommen, die nach den Bioregeln arbeiten – ohne chemisch-synthetische Pestizide und Mineraldünger. Aber auch konventionelle Landwirte dürften dieses Geld kassieren, wenn sie etwa permanent ökologisch bedeutsame Wiesen erhalten.
Wichtigster Einwand etwa des Bauernverbandes ist, dass die Ernten sinken würden. Die „Versorgungssicherheit“ mit Lebensmitteln sei in Gefahr. Doch davon ist Deutschland weit entfernt: Es produziert zum Beispiel 16 Prozent mehr Rindfleisch, als es verbraucht. Würden wir weniger Fleisch essen, könnten sich zudem mehr Menschen vom vorhandenen Getreide ernähren, weil nicht mehr so viele Kalorien für den Eigenbedarf von Masttieren nötig wären.
Auch die steigende Weltbevölkerung ist kein Argument gegen mehr Umweltschutz in der EU-Landwirtschaft. Es hat keinen Sinn, in Europa die Nahrungsmittel für Millionen Einwohner von Entwicklungsländern zu erzeugen. Denn dann würde beispielsweise Afrika noch abhängiger von Importen, die je nach Marktlage schnell so teuer werden können, dass Arme dennoch hungern müssten. Das hat die Ernährungskrise 2008 gezeigt.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 8