JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA : Der Glanz meiner uralten Tage
Okay, junge Leute haben keine Altlasten. Dafür hat mein Leben sieben entscheidende Vorteile
Hach, jung müsste man sein. Junge Leute haben keine Altlasten. Junge Leute gehen zu Schlagerkonzerten und denken, das sei moderne deutsche Popmusik mit ernsten Texten. Junge Leute können schneller SMS schreiben, als alte Leute Herzinfarkte kriegen. Junge Leute nehmen Drogen und wachen trotzdem frisch und fidel wieder auf. Junge Leute haben an jedem Örtchen ein anderes Törtchen und in jedem Clübchen ein anderes Bübchen.
Wir Uralten dagegen, wir schreiben Postkarten, haben beschissene Kater und langjährige Beziehungen. Neulich habe ich mal überlegt, wer von meinen reifen Singlefreunden und -freundinnen sein Singleleben eigentlich so genießt, wie er könnte. Fast niemand. Niemand swingt sich noch jede Nacht durch die verschiedensten Betten, denn das ist anstrengend, kostet Zeit und ist auch gar nicht mehr so einfach, seit der Haaransatz zurückgeht. Aber gut, vielleicht liegt’s an meinen Freunden. Trotzdem, nicht mal mehr auf Schwule ist in der Beziehung Verlass, der beste Freund erklärte mir neulich, warum er so ungern zu schwulen Sexpartys gehe: Weil die Männer da immer nur Socken und Schuhe trügen, und das sei ihm mehr als suspekt, er ekele sich geradezu vor Nackten in Socken und ginge darum zwecks unkompliziertem Sozialverhalten eher in die Sauna, da seien wenigstens alle komplett nackt. Meinen Hinweis, Socken und Schuhe beziehungsweise Strümpfe und Stiefel hätten beim Heterosex in mannigfaltiger Weise Bedeutung, könnten für viele – männliche – Partner geradezu ein Top-Erotikum sein, wiegelte er ab. Der beste Freund ist eben auch nicht mehr der Jüngste und leistet es sich, wählerisch zu sein.
Obwohl im Heterosex eigentlich eher die Frauen im fortgeschrittenen Alter wählerischer werden. Darum gibt es auch Filme wie „Hitch – Der Date Doktor“, in dem ein unattraktiver Mann durch haarsträubende Tricks an eine extrem attraktive und eigentlich sehr wählerische Frau herangeschmuggelt wird, die sich am Ende in ihn verliebt und durch seine möppelige Fassade hindurchsieht. Dieser Film ist geradezu ein Lehrstück an Sexismus. Sein Pendant, die unattraktive Frau, die sich in einen Unerreichbaren verliebt, läuft gerade als Telenovela bei Sat.1 und erlaubt natürlich am Ende nur eine einzige Lösung: Die Frau muss attraktiv werden. Mit Brille, Zahnspange und Kilos kann sie auf Dauer noch so nett sein, es reicht doch nicht.
Das sind quasi doppelte Probleme, die im Alter auf einen zukommen. Erstens ist man ausgebufft und abgelascht, und zweitens will man nicht mehr mit allem mitgehen, was Beine hat, sondern das muss schon jemand Besonderes sein. Aber nun ist es an der Zeit, schnell ein paar Vorteile des Alters aufzulisten, sonst heißt es noch, ich wolle jünger sein, als ich bin.
Also: 1. Man ist mit ganz wenig oder ohne Fernsehen aufgewachsen und braucht die ganzen TV-Nasen darum nicht. 2. Man ist selbstverständlich Feministin. 3. Man kann die Postkarten, die man geschickt bekommen hat, wehmütig in durchsichtige Duschvorhänge stecken und sich jahrelang daran erfreuen, wie viele nette Menschen man mal kannte (mit SMS geht das nicht!) 4. Man verdient mehr Geld als mit 19.
5. Man kriegt erst später Krebs, weil man erst später mit dem Handy angefangen hat. (Allerdings hat man die ersten, besonders strahlungsstarken Geräte benutzt …) 6. Man hat ebenfalls an jedem Plätzchen ein anderes Schätzchen, denn man hat viele alte Freunde, und von denen führt bestimmt mindestens einer eine Kneipe.
7. Man fährt nicht mehr (oder nur noch selten) per Mitfahrgelegenheit, bei der man stundenlang neben schlechten Fahrern hocken und Gespräche über das Leben in Berlin führen oder die neue Marius Müller-Westernhagen hören muss (ist mir mal vor ungefähr 14 Jahren passiert, ist es nicht gruselig, dass Marius Müller-Westernhagen noch immer neue Platten rausbringt und dass ich seine neueste garantiert hören müsste, wenn ich noch mal eine Mitfahrgelegenheit nutzen sollte? Da bin ich doch lieber alt und fahre Zug).
Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST & CHOLERA Fragen zu Altlasten? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN