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Archiv-Artikel

JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN Eine Gämse im Schlamm

In Finanzkollektiven teilen Menschen ihr Geld. Jetzt entsteht ein Netzwerk daraus. Und Werbung in der taz

Wenn mir alltäglich Leute über den Weg laufen, die „diese Wirtschaft ja gar nicht so schlimm finden“ und partout nicht über ihren Rahmen hinausdenken, will ich nicht böse sein. Wir stecken da ja alle drin. Doch ei, was wär es schön, eine Alternative zu haben. Und schau da: Netterweise habe ich ein paar Enthusiastinnen kennengelernt, mit denen wir das jetzt angehen.

Wir bauen ein Netzwerk von Finanzkollektiven auf! Das sind einzelne Leute, die ihr Geld zusammenlegen – man gibt, was man kann, und nimmt, was man braucht. Grob gesagt. Und Mitte Februar ist das erste große Treffen zur Gründung eines Netzwerks. Dort gehen wir nun also den nächsten logischen Schritt und entwickeln Modelle zur Zusammenarbeit zwischen solchen Gruppen. Wie sieht zum Beispiel eine alternative Altersvorsorge aus? Wie geht man mit pubertierenden Kindern um? Wie vererbe ich eine Couch, wenn sie allen gehört?

Seitdem versuche ich verzweifelt, das Thema so zu verkaufen, dass alle es ganz toll finden und es weitererzählen. Da muss man gefühlsgetränktes Storytelling machen, sagt mein Papa. Dann machen alle mit und spenden ganz viel Geld.

Okay, dann mal los! Ein Super-8-Naturfilm im Wald, Off-Stimme ertönt. Gämsen wurden übrigens zum Wildtier des Jahres 2012 gekürt! In freier Natur hüpfen sie elegant von Hügelchen zu Hügelchen. Nahaufnahme ihrer liebevollen feuchten Augen. Schnitt. Frankfurt am Main. Bankenviertel. Die Stimme aus dem Off: In jüngster Zeit entwickelt sich nun jedoch ein ganz neues Phänomen. Weil die grauen, bösen, geldgierigen Menschen den Gämsen immer näher auf die Pelle rücken, findet man sie immer häufiger mit stolz erhobenem Haupt auf den Türmen der Bankengebäude. Auf ihren Transparenten steht: „Gämsen, vereinigt euch!“… und der Verweis auf www.gemeinsame- oekonomie.net.

Gämsen. Als Wappentier für Finanzkollektive? Um in dieser Welt gut anzukommen, sagt Papa, muss man eben am Puls der Zeit bleiben. Fetzig, griffig und am besten authentisch sein. Naturnah! Aktuelle Natur! Der Gewässertyp des Jahres 2012 ist der „Sandig lehmige Tieflandfluss“. Kein Scheiß! Vielleicht eine Gämse im Schlamm? Die Gämse als flinke, intelligente, innovative Aktivistin. Der Schlamm für ihre Prekarität und der Sand fürs Getriebe! Und die sagen dann in die Kamera, dass sie all ihr Geld zusammenlegen, alles, alles, alles! Und dann blende ich ein, wo man für unser Treffen Mitte Februar spenden kann: www.j.mp/kollektivgeld.

Ein sexy Autsch. Werbung mit würdevoller Hässlichkeit! Denn wir sind ruppige, schlaue Gämsen. Gämsen im sandig lehmigen Tieflandfluss. Und: Wir werden immer mehr!

Der Autor ist Clown und politischer Aktivist Foto: S. Noire