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Archiv-Artikel

JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN Krassisierung des Moments

Ein glückliches „No Future“ steht im Gesicht der Partymeute. Kommt da noch eine Überraschung?

Ist das ein Zyklus? Haben wir jetzt eine neue No-Future-Bewegung in den Berliner Subkulturen? Offener Masochismus, verknotet in gescheiterten Heilsversprechen unserer Gesellschaft?

Als die Punks in den Siebzigerjahren durch die Straßen zogen, rotzten sie den Feinstaub aus, der sich in unseren Seelen abgelagert hatte. Der Club of Rome hatte gewarnt, die Welt würde untergehen, wenn wir so weitermachen wie vorher. Während Maggie Thatcher und Ronald Reagan mit ihrem neoliberalen Programm durch Weltbankbüros und Regierungen jagten, spuckte die anarchistische Bewegung die Wut aus, die Wachstumsdiktat und Hippies verschluckt hatten. Die Sex Pistols sangen: When there’s no future how can there be sin / We’re the flowers in the dustbin / We’re the poison in the human machine / We’re the future, your future!

Und jetzt, 30 Jahre später, schreiben wir das Jahr der Nachhaltigkeit, der Rio+20-Konferenz, bei deren Vorgesprächen es frustriert um grünen Kapitalismus geht. Die Berliner Clubkultur zelebriert nur noch den Moment, lässt Bässe durch den Körper wummern und ertränkt sich in MDMA, dem Hauptbestandteil sauberen Ecstasys. Das ist eine ganz und gar wunderbare Droge, die nach einem angenehmen Endorphin-Hoch noch nicht mal in ein Tief führt. Mit Spiegelei und Vitaminpräparat kann der nächste Tag gerettet werden. Und die Woche über arbeitet man an Selbstverwirklichungsprojekten, die sozialen Mehrwert schaffen. Die Berliner Polizei zeigte sich am 1. Mai voll zufrieden.

Um kein Leistungstief zu haben, schlucken Hipster und Manager montagmorgens mehr als 20 verschiedene Vitamine und Spurenelemente. Das gleicht das Koks aus. Auf der Packung eines der meistverkauften Vitaminpräparate steht, es werde bei Strahlentherapie verwendet. Doch langfristige Heilsversprechen sind ausverkauft. Keiner glaubt mehr an Familienglück, und wer von Wachstum spricht, gerät in den Verdacht, dumm zu sein. Reine Erfahrungswerte. Netzwerk- und Flexibilitätsideologien sind im Trend, doch deren soziale Funktionalität führt in gemeinsame Anonymität.

Die Punks haben damals selbst das Establishment überrascht. Im Jahr 1981 wurden über 160 Häuser in Berlin instandbesetzt, der Leerstand wurde genutzt, greifbare Alternativen entwickelt. Können wir das auch jetzt erhoffen? Verschmelzen beim wummigen Bass die Klassenunterschiede zwischen Sonnenbankprolls und SoziologiestudentInnen, ganz überraschend? Oder ordnen sie ihr Krassisierungswochenende auch nur dem Leistungsfetisch unter? Adorno meinte, die Kulturindustrie „enthalte das Gegengift ihrer eigenen Lüge. Auf nichts anderes wäre zu ihrer Rettung zu verweisen.“ Wollen wir das Beste hoffen – auf eine Überraschung im Weltuntergangsdiskurs: No Future, ihr Wichser!

■ Der Autor ist Clown und politischer Aktivist Foto: S. Noire