JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN : Die Demenz der Geschichte
Die Klimakrise bringt das Gefühl der Unumkehrbarkeit und Ohnmacht mit sich. Sie ist die finale Sackgasse
Ich habe das Gefühl, immer intensiver vom Tod umgeben zu sein. Der Kinofilm Halt auf freier Strecke hat Krebs, Jelinek schreibt ihre eigene Winterreise, die traditionell in den letzten Monaten vor dem eigenen Tod geschrieben werden sollte, dann sterben da Größen wie Georg Kreisler und Franz Josef Degenhardt innerhalb von zwei Wochen. Mir kommt es vor, als würden überall Liebesbeziehungen zerbrechen und unpolitische, beruhigende Lieder gespielt. Ist das meine kleine Welt? Oder tanzt der Tod durch unsere Pop-Kultur?
Meine steile These: Das hängt mit unserer Dreifach-Krise zusammen, die durch die Welt fegt: Politik. Wirtschaft. Umwelt. Alles Krisen. Ende einer Ära. Ende des auf-Pump-Lebens. Nächster Gedanke: Es gibt Tote. Wir werden sterben. Alle. Fragt sich nur, wie.
Der reaktionäre Welterklärer Francis Fukuyama verkündete 1989 das Ende der Geschichte: Der liberale Kapitalismus hatte sich durchgesetzt, da komme sicherlich nichts besseres mehr. Tod, Ende, aus. Doch was, wenn wir nun nicht alle einfach sterben, durch ein riesigen Asteorid oder die plötzliche Rückkehr der Dinosaurier, sondern erst mal in eine allgemeine Demenz verfallen? Diese Klimakrise hat ein politisches Sackgassengefühl als Beigeschmack, das Gefühl der Unumkehrbarkeit. Der Ohnmacht.
Ist das so? Sind wir nun in einer Art geschichtlicher Demenz gelandet? Wenn ich mir die politischen Handlungsabläufe anschaue, ist das plausibel: Immer wieder wird wiederholt, dass Wachstum seine Grenzen hat. Hopps, vergessen. Dass Ressourcen geschont werden müssen. Ressourcen? Was? Doch wir produzieren immer mehr.
Mit dem Tod, glaube ich, komm ich schon irgendwie klar. Aber sag mir mal jemand, wie ich mich auf eine zufriedene Demenz vorbereiten kann?! Ein feines soziales Umfeld pflegen, auf das ich dann bauen kann? Oder Juristen damit beauftragen, mir eine tägliche Dosis Heroin zu sichern? Im Einzelfall macht das alles sicher Sinn. Aber bei globaler Demenz ist das nix.
Wenn wir schon alle ohnmächtig untergehen, dann lasst uns die Scheiße wenigstens noch in die Hälse stopfen, denen sie am besten steht. Als kleines Ritual, was radikale Veränderung markiert. Noch ein letztes Mal Plutoniumfässer in ausgewählte Schlafzimmer stellen, Hungerleichen in das Büffet von Bankenvorständen und Supermarktregale legen. Bei allem Respekt. Bei aller Komplexität. Der Tod ist Teil des Lebens. Leckt mich am Arsch. Die Klein-Klein-Reformen von Fair Trade, Biomüsli und Green Economy spielen nur die alte Verwertbarkeitsleiher. Die Demenz dieser Krise, nein, die ist keine Chance. Kein. Ende. Kein. Ende. Kein. Tod.
■ Der Autor ist Clown und politischer Aktivist Foto: S. Noire