JAN FEDDERSEN über PARALLELWELTEN : Ey, das Mehl ist echt schön geschrotet, du
Die Welt ist schlecht. Aber zum Glück gibt es das Brotparadies – eines der letzten ökologisch-bekennenden Refugien
Es gibt viele Gelüste, dieses ist gelb: Der Honig vom Imker aus der Ladgale im lettischen Hinterland, Geschenk eines Freundes, der in Riga mit Easyjet aufbrach, um sich in Berlin binnen dreier Tage ganz(heitlich) der Kultur hinzugeben („Oper, Dussmann, Einstein, Oper, Pornoladen, Oper“) – dieser Honig sieht schon himmlisch aus, und er darf nicht im Tee verschwendet werden. Dieser Honig braucht gutes, duftendes und frisches Brot, mit Kruste. Eine Art Madeleine der niederen Stände. Aber die Schrippen beim arabischen Bäcker waren ausverkauft, und die im Supermarkt sind nicht gut genug für diesen Honig, weil zu luftig.
Dem Himmel sei Dank gibt es in unserem Viertel nicht nur eine serbokroatisch-kosovo-arabisch-türkische Geschäftslinie, sondern auch eine ökologisch-bekennende. Der Laden heißt „Brotparadies“ und ist einer, der früher Tante-Emma-Laden genannt worden wäre und heute, weil es ja keine Emmas mehr gibt, am besten als Tante-Sabine-Laden bezeichnet sein möge. Drinnen ist alles übersichtlich. Eine Tiefkühltruhe mit Käse und etwas grauer Wurst darin, dahinter Saftflaschen, Vegapasten. Man verrät nichts Gehässiges: die Preise weisen diese Lebensmittel als Juwelen aus.
Macht aber nix, für den Honig aus der lettischen Landschaft, die selbst Radfahrer meiden, so sehr nähert man sich dem Saum zu Russland, zahlt man gern. Soll schmecken. Und tatsächlich, im Regal liegt noch ein Vollweißweizenmehlbrot, eine Art Baguette ohne französische Goldigkeit auf der Oberfläche. Sollte auch schnell gehen, und es steht ja nur ein Mann vor der Verkäuferin, die sich als „die Steffi“ vorstellt. Mir ist sie egal, was ich, wenn ich mählich richtig begreife, besser nicht sage, denn ich will sie ja nicht entfremden von ihrem Job, der mehr als Aufgabe zu sein scheint. Jedenfalls plaudert sie mit ihm – nein, sie reden gewichtig. Er fragt, „du, ist das Mehl gut geschrotet“, und sie antwortet zunächst nicht, ehe sie „ich glaub schon, du“ erwidert.
Im Supermarkt drei Blocks weiter steht vor dem Eingang ein Schild, auf dem zu lesen steht, man könne einen Geldgutschein bekommen, wenn man an den Kassen länger als fünf Minuten warten muss.
Hier im Bioladen hat diese Eile keinen Platz und wir Kunden gerade nicht die Geduld, einen, sagen wir: gewissen Unmut über so viel unschuldbewusste Lahmarschigkeit zu zügeln. Wir fassen uns ein Herz, einer sagt: „Entschuldigen Sie, wir möchten Ihr Gespräch nur kurz unterbrechen, aber könnten wir mal schnell dieses Brot da oben haben?“ Der männliche Kunde guckt uns an, als seien wir Verbrecher, Kriminelle gegen das Behagen der Zeitfülle. Und sagt: „Die Steffi kann so einen Stress nicht gut ab … Ich finde …“ Da schaltet sie sich ein und sagt couragiert: „Hier ist kein Platz für Hetze. Bitte geduldet euch. Und dass ihr mich siezt, ist nicht schön.“
Aber sie lassen sich doch erweichen, ihre grundgutbalancierte Zweierkommunikation hintanzustellen. Wir bekommen das Brot. „Lutz, ich muss mal eben einpacken.“ Und wir sagen, nein, das sei nicht nötig, wir würden keine Tüte brauchen, weil wir eine dabeihaben – doch da sieht die Bine, dass wir eine Tasche aus wasserundurchlässigem Stoff haben. Und beginnt ihren Tadel: „Das ist doch keine Verpackung für ein so schönes Brot, das wurde so umsichtig gebacken – es könnte doch leiden.“
Über Öko macht man sich nicht lustig.
Haben’s doch schwer genug, Entfremdung, Kapitalismus und so. Zwar nur vier Euro Stundenlohn, dafür aber zwei Einkaufsplena in der Woche und Abschließdienst am Abend. Und sowieso ist uns nicht heiter, wir wollen essen, haben Hunger, wollen keine Therapie spielen, bezahlen auch dieses Brot mit 4,70 Euro.
Der Honig? Wie das Brot. Ein Gedicht. Der Laden muss dringend weiterempfohlen werden. Die Steffi wird jetzt noch mehr Kundschaft bekommen: Aber kann sie das überleben – seelisch vor allem?
Fragen an die Bine? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL