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Archiv-Artikel

JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT „Krass, aber oké!“

Seltsam, aber: Türkische Jugendliche wissen, wie sie gegen türkische Jugendbanden vorgehen würden

Montagmorgen, mein arabischer Frisörsalon des Vertrauens hat eben gerade eröffnet. In der Couchgarnitur sitzen vier Erwachsene, zwei Männer, zwei Frauen. Mohammed, Ayse, Tarik und Cigdem. Statt branchentypisch Aufgeräumtheit der Kundschaft zu zeigen: eine nicht einmal böse wirkende Desinteressiertheit. Einer sagt: „Müde“, eine erwidert: „Die Kinder letzte Nacht konnten wieder keine Ruhe geben“, worauf der andere meint, „war das langweilig gestern Abend“ und die jüngste nur „Montag ist scheiße!“ ausbringt.

Der Laden ist multikulturellster Art, hier werden Männer wie Frauen geschoren, der Gegend angemessen haben die Frauen ein eigenes Zimmer, in das die Männer auch nicht eintreten dürfen, manche haben ein Kopftuch ums Haupt gewickelt, andere kommen herein und sagen: „Ich brauche ein anderes Leben“, also eine andere Frisur. Deutsche die meisten, manche seit Generationen eingeboren, andere türkischer, arabischer, mazedonischer Färbung, aber wen interessiert das schon?

Mitten in Neukölln hat man von sich selbst kein ruiniertes Bewusstsein und will auch gar nicht wissen, dass die Welt draußen von einem wie von einem chancenlosen Nest spricht. Deutsch im kulturellen Sinne jedenfalls sind sie alle. Öde, kaum entspannende Wochenende, abends zuvor beim Fernsehen hängen geblieben, sich fast Tode gezappt und doch nichts Spannendes gefunden, „war was mit Kultur“, teilt Mohammed mit, aber dann ist er doch lieber mit Freunden eine Runde Karten spielen gegangen.

War neulich nicht gleich nebenan schwer Randale? Polizei, Jugendliche mit allem drum & dran? Mit fiesen Vokabeln („Bullenschwein“ gegen „Ali, bald schmeißen wir dich raus“), niemand weiß ja genau, was da bei diesen wüsten Zusammenrottungen passiert ist. Sicher, denkt sich der Traditionsdeutsche, was Rassistisches. Blöde Polizei, tapfere türkische oder arabische Jungs, die doch nur eine Chance wollen und nicht nur Hartz IV oder so.

Wir als gutherzige, schuldbewusste und verantwortungsstarke Altdeutsche wissen doch: Mag ja alles hübsch sein mit dem Zusammenleben aller, vor allem in den prekären Quartieren, aber unter der Decke, da schlummert gemeinster Hass gegen alle Einwanderer. Da muss man wachsam sein und darf nie verzagen, anzuprangern und Mitgefühl zu zeigen.

Sagt dann plötzlich Ayse: „Isch hätt die sofort kassiert“, wie bitte?, und Tarik meint, „sollen mal lieber Fernsehen gucken oder Sex haben“, woraufhin Cigdem sehr aufgewacht anfügt, „und dann noch einen auf Sozialhilfe machen, bei uns in der Familie wär das unmöglich, arbeiten oder nicht einen auf dicke Hose machen“, und man innehält, weil das doch nun echtes Gossendeutsch ist, aber ehe die Überlegung über mangelnde Sprachsensibilität in den Schulen zum Ende reifen will, bündelt Mohammed die Schose in einem: „Ich würde die rausschmeißen, sofort, Ausländer haben wir doch genug.“

Ich sollte vielleicht erwähnen, dass all diese Bekundungen so völlig frei vom Kommisston klangen – eher weich, grundiert durch letzte Spuren arabischer oder türkischer Sprechmelodien hörte es sich an. Dennoch und empörenderweise, möchten wir doch sagen, konnte das nicht akzeptiert werden. „Aber die haben keine Jobs, die brauchen Perspektive, Brot, nicht nur Spiele!“ Die Runde sackte wieder in sich zusammen: „Und? Jobs? Können hier anfangen. Haare ausfegen. War neulich einer da, wollte aber gleich schneiden. Ich sagte, nee, geht nicht, erst lernen.“

Cigdem fällt ihm ins Wort: „Wollte aber nicht, wa!“ Und steckt sich eine an, noch immer keine Kundin, die sich wenigstens die welligen Haare glattbürsten lassen möchte. Tarik winkt ab, rührt schon mal Rasierschaum im Alubecher an: „Gestern war Polizei hier, nett, total nett. In der Pause mal eben Konturen schneiden.“ Aber die armen Opfer … Ayse wird jetzt grundsätzlich: „Arm? Arbeiten die? Nein? Nicht? Dann sollen sie arm sein.“

Eine alte Frau, Typ neuköllnische Rentnerin, die sich ihr Viertel auch nicht muslimisch gewünscht hat vor fuffzig Jahren, aber wo das jetzt so ist, eben es nimmt, wie es ist, kommt herein und sagt: „Frollein Ayse, dann wollen wir mal.“ Schlägt eine Illustrierte auf, zeigt auf ein Foto von Nina Ruge und sagt: „So sollen meine Haare hinterher auch aussehen.“ Ihre Frisörin lacht und sagt: „Na super, endlich mal eine mit Mut“, und holt Tee und Gebäck.

Tarik verlässt für zwei Stunden den Laden, er muss zum Deutschkurs. „Klasse. Aber die Lehrer, der eine nuschelt so. Ist nicht so leicht, bei dem zu lernen.“ Mohammed hat die Klinge eingespannt, erzählt von McFit und dass dort das Duschen extra kostet, von der Apotheke, wo es „echt super Kraftpulver gibt“, von seiner Prüfung in zwei Wochen, von der abhängt, ob er endlich Deutscher wird – und ich möchte ihm sagen: Alles richtig gemacht. Und jetzt bitte einmal kürzer den Bart, diesmal als Goatee, bitte! Klar, geht in Ordnung, weil: „Krass, aber oké!“

Fotohinweis: JAN FEDDERSEN PARALLELGESELLSCHAFT Fragen zum Wrangelkiez kolumne@taz.de Morgen: Jörn Kabisch DAS GERICHT