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Archiv-Artikel

JA, BERLIN IST ZU GROSS FÜR BERLIN: MEHDORNS POWERHOUSE, WOWEREITS CORPORATE IDENTITY UND DER ROTE TERPPICH FÜR INVESTOREN Eine Flughafenruine, die sich ausdehnt

VON KATHRIN RÖGGLA

Berlin ist zu groß für Berlin“, schreibt Hanns Zischler und stellt das eben erschienene und fulminante Buch bei einer Matinee im Cinema Paris vor. Elke Schmitter moderiert und Wim Wenders sitzt in der ersten Reihe, dahinter ganz Charlottenburg und vielleicht ein paar Nachbarbezirklein. Das Ensemble wirkt wie ein Anti-Schneeeinfall, ein Budenzauber gegen den Wintereinbruch, den Flughafen und die allgemeine Planlosigkeit, die sich mit Mehdorn’schem Durchgreifen wird paaren und merkwürdige Früchte tragen müssen. Ein anachronistischer Gestus liegt in Zischlers subtiler Studie über das Antihistorische der Stadt, den ich subversiv nennen möchte, aber subversiv nennt man heute nichts mehr, also tue auch ich es auch lieber nicht, sondern fahre fort, dass bei der Lektüre jedenfalls der Verdacht aufkommen könnte, die Planlosigkeit in dieser Stadt habe eine lange Tradition.

Berlin ist eine Zusammenrottung an stadtplanerischen Fehlstarts, das wissen wir, werden Sie sagen, was aber nicht heißt, dass sie gleich unbewohnbar werden muss. Aber es gibt im Grunde in den meisten Städten keine Stadtplanung mehr, sondern nur Verkehrsplanung, denn der Bürger hat in erster Linie und hauptsächlich Recht auf Mobilität, wobei von regierenden Bürgermeistern meist nicht mehr billige U-Bahn-Tickets gemeint sind, sondern der Ausbau der A 100 und eine Liberalisierung des Luftraums. Wissen wir, sagen Sie. Ich sage: Ja, Sie wissen es, Ihnen ist auch geläufig, dass Sozialdemokraten von der Notwendigkeit einer Corporate Identity einer Stadt sprechen können und dabei immer schon den roten Teppich für Investoren ausgerollt haben, dass Arbeitsplatzgespenster über Nachtflugverbote, die ihren Namen verdienen, hinüberschlenzen dürfen, überhaupt dass Arbeitsplatzgespenster sich alles erlauben dürfen, aber ich muss mir das immer erst in Erinnerung rufen, ich lebe ja auch nicht wie Sie in der Jetztzeit, in der Städte nicht mehr Städte sind, sondern eher Anhängsel von Drehkreuzen, wie in dem Rhein-Main-Gebiet, aus dem ich gerade komme, und einem schnell herbeizitierten Gott dreimal danke, dass ich da unten nicht leben muss.

Der Wohlstand der Region verdanke sich dem Flughafen, sagen sie dort in einem fort, während Tausende nachts nicht schlafen können und durch ihre Wohnungen und Häuser irren. „Wir irren des Nachts umher und werden vom Fluglärm verzehrt“, würde Guy Debord als heutiger Mainzer, Offenbacher, Wiesbadener, Frankfurter schreiben, aber zurück in Berlin sieht mich nur Sahra Wagenknecht aus einer Sonntagsbeilage an und platziert spärlich Inhalte, weil man ihr lieber dauernd Goethe nahelegt. Sonntagsbeilage eben. Ein paar Seiten eher feiert Wowereits Unternehmergeist fröhliche Urstände, aber was weiß ich schon, was Sozialdemokraten heute sein sollen. Ich weiß nur, wie leicht es einem Politiker heute doch fällt, sich in Großprojekten voranzubewegen, Stadtplanungssünden wie eine Autobahn quer durch den Treptower Park zu erfinden, Hauptsache, es riecht nach Wachstum, Wachstum, Wachstum!

Nichts Neues im Westen? Vielleicht. Und so erlaube ich mir folgende Prophezeiung: Mehdorns Powerhouse, das er erst mal statt eines Flughafens eröffnen will, wird in sich zusammenfallen, eine Flughafenruine wird sich ausdehnen, nicht nur südlich von Schönefeld, sondern weit in die Innenstadt hinein, ja, mehr noch, über die Innenstadt hinweg. Denn jenseits der äußeren Gebäudehaut ragen die Trümmer der Finanzierungslücken, der geistigen Schießbudenfiguren, Lärm- und Schmauchspuren wird es nach sich ziehen, die verdächtig nach Pleite klingen, nach Kürzungen und jetzt mal ganz neuer Austeritätspolitik. Ja, und irgendetwas wird schon fliegen, da bin ich mir sicher.