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■ It's Ozon-times: In Hessen nahmen viele den Fuß vom PedalDie Faszination der Langsamkeit

Dieses Land mit seinen umweltbewußten Menschen sei „reif“ für die Einführung einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung auf den Autobahnen – meinen die Grünen im hessischen Landtag. Schließlich hätten sich die hessischen AutofahrerInnen, nach zögerlichem Auftakt, schon gestern zu 80 Prozent an die in der Ozonverordnung festgeschriebenen Tempolimits gehalten. Schneller als 100 km/h, so auch die hessische Polizei, sei selbst auf der Rennstrecke BAB Köln–Frankfurt/Main kaum noch ein(e) AutofahrerIn gefahren.

Nach dem kleinen Finger wollen die Bündnisgrünen und die UmweltschützerInnen jetzt also die ganze Hand – und das völlig zu Recht. Es ist in der Tat nicht länger einzusehen, warum ausgerechnet das Transitland Bundesrepublik Deutschland in Sachen Geschwindigkeitsbeschränkung auf mehrspurigen Fernstraßen eine (west-)europäische Insel bleiben soll. Gegenargumente lassen sich selbst von eingefleischten Befürwortern der „Gib Gas ich will Spaß“-Philosophie nur noch schwer finden. Die Raserei auf den Autobahnen fordert nicht nur eine unnötig hohe Zahl von Toten und Verletzten. Rasen „kostet“ auch mehr Sprit und Nerven. Und nicht zuletzt schadet all das durch den vermehrten Schadstoffausstoß aus den Auspuffrohren der Umwelt – und damit auch den Menschen.

Gerade die Bundesregierung, die sich noch immer mit Vehemenz gegen die Einführung von Geschwindigkeitsbeschränkungen sperrt, verweist immer dann, wenn es ihr in den Kram paßt, auf die Notwendigkeit einheitlicher europäischer Regelungen. Ein Tempolimit von 120 km/h ist (fast überall) europäischer Standard. Hier wagt die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung tatsächlich locker den „Alleingang“ – während dieser „Alleingang“ etwa bei der Bekämpfung des „Rinderwahnsinns“ oder bei der von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) angekündigten Einführung von „Ökobenzin“ im Ankündigungsstadium steckenbleibt.

Die neuen hessischen Erfahrungen konterkarieren auch die Behauptungen der Lobbyisten aus der Automobilbaubranche und des ADAC, wonach eine Mehrheit der bundesdeutschen AutofahrerInnen nicht gewillt sei, den Bleifuß vom Gaspedal zu nehmen. Selbst die FahrerInnen pfeilschneller „Geschosse“ waren in Hessen – aus Einsicht in die akute Notwendigkeit – bereit, sich so diszipliniert wie etwa die AutofahrerInnen auf einem US-amerikanischen Highway zu verhalten. Die „Faszination der Langsamkeit“ nannte das ein Porschefahrer am Rande einer hessischen Autobahn. Sollte das hessische Experiment – über die konkrete Wirkung auf die Ozonkonzentration hinaus – tatsächlich für eine dringend notwendige Wiederbelebung der politischen Debatte in Deutschland um die Einführung eines Tempolimits sorgen, wäre auch das ein schöner Erfolg für die rot- grüne Landesregierung in Hessen. Auf die Bonner SPD mit ihrem angstbeißerischen Rudolf Scharping an der Spitze aber sollte vor den Bundestagswahlen kein vernünftiger Mensch mehr setzen. Klaus-Peter Klingelschmitt

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