■ Italiens bislang unumstrittene Jahresfeiern zur Befreiung von der deutschen Besetzung werden zum Streitfall: Nationalfeiertag ohne Nation
Der liebe Gott, ansonsten nach Auskunft seines obersten Stellvertreters auf Erden mit seinen Italienern wg. staatlicherseits erteilter Erlaubnis zur Scheidung und zur Abtreibung höchst unzufrieden, mag derzeit seine wahre Freude am Land der Zitronenblüte haben: So oft wie in diesen Tagen wurde er im letzten halben Jahrhundert wohl nur noch selten angerufen. Er bete für „alle Gefallenen“, ließ der Leitartikler des Indipendente wissen; „Erlöse uns von den Gespenstern“, flehte la Voce, und sogar die sonst eher stocknüchterne la Stampa überschrieb ihren Hauptartikel zum Thema mit einem Bezug zur St-Peter-Zeitung Osservatore romano: „Der Vatikan stellt erneut die Resistenza voran.“
Um sie ging es nämlich vor allem: die „Resistenza“, und speziell um den Tag, an dem all jene gefeiert werden, die von 1943 bis 45 die deutschen Besatzer aus dem Land geworfen haben. Ihnen war bisher unwidersprochen exklusiv der Nationalfeiertag am 25. April (der Tag, an dem die Deutschen in Italien aufgaben) gewidmet. Doch nun soll das anders werden.
Begonnen hatte alles mit einer Art Trotzgeste: Als sich am 28. März nach der Auszählung der Wählerstimmen eine satte Mehrheit für den Rechtsblock (der „Forza Italia“ des Medienzaren Berlusconi, den Neofaschisten im Süden und den sezessionistischen „Ligen“ im Norden) ergab, rief il manifesto, die „unverbesserlich kommunistische Tageszeitung“ (Eigenwerbung), für den 25. April zu einer Großdemonstration auf, um gegen die drohende Machtergreifung zu protestieren.
Kaum war der Aufruf erschienen, brachen wahre Fluten von Reaktionen über die Italiener herein. „Was fällt denen ein“, brüllte „Liga“-Chef Umberto Bossi, „die wahre Resistenza sind wir, die Ligen“; Neofaschisten-Führer Gianfranco Fini forderte eine „Neubewertung der Rolle Mussolinis, des größten Staatsmannes unseres Jahrhunderts“, sowie eine sofortige Abberufung des Intendanten des Staatssenders RAI, weil man dort zunächst noch auf altgewohnte Jubelsendungen gesetzt hatte (inzwischen mehren sich jedoch Filme, die die Faschisten in eher mildem Licht zeigen, die Partisanen jedoch vorwiegend als rachsüchtige Gierbatzen).
Berlusconi, der Medienmogul, ließ seine Sender gleich auf Dauerfeuer stellen — „Geraderücken der Geschichte“, nannten es sein Paladine, wenn sie sich einen Altvorderen aus der Partisanenzeit nach dem anderen vorknöpften und ihm mitunter persönliche Verfehlungen, zumindest aber „Verharmlosung des seinerzeitigen Geschehens“ vorwarfen. Und die manifesto-Initiative wurde vom Chefredakteur der Liga- nahen Tageszeitung il giornale aus dem Hause Berlusconi, Feltre, gar mit dem Verdacht versehen: „Die wollen unbedingt Tote, um wieder mal mit Märtyrern herumfuhrwerken zu können.“
Bei so viel Gift tat es am Ende geradezu wohl, daß aus derselben Ecke immerhin auch Versöhnliches kam: der von den „Ligen“ gestellte Bürgermeister von Mailand, Marco Formentini, beschloß, die Hauptdemonstration in seiner Stadt mit mehr als 200.000 Menschen persönlich anzuführen. Werner Raith
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