■ Italiens Papagallos in der Krise: Nacktheit als Mauer
Beim Anblick räkelig dahingegossener Frauenkörper am Strand müßte einem professionellen, überzeugten, wenn auch schon leicht ergrauenden Papagallo wie mir eigentlich die Hosenknöpfe gerade so aufspringen, der Schwellkörperdienst von selbst aktiv werden. Behauptet jedenfalls unbeirrbar das Vorurteil über den Latin Lover. Es erkennt nicht, daß der Latin Lover mit der Nacktkultur auszusterben begonnen hat.
Was ist ein Papagallo?
Ein Papagallo ist eine Art direktes Gegenstück zum zeigelustigen Touristen – Frau oder Mann – in der Öffentlichkeit. Nur daß er weniger mit seinem Körper oder seinem Geld prahlt als mit Eigenschaften, die er nur andeutet, etwa durch die Mimik, durch Gesten, durch seine Art des Ganges. Seine aggressive, bunte Kleidung dient nur dazu, eine erste Aufmerksamkeit zu erregen, der Rest ist dann wirkliches Können: Er zeigt sich, aber nur metaphorisch, symbolisch. Nie unverhüllt. Im übrigen ist er selbst im Bett oft eher schamhaft denn protzig.
Wen macht er an? Er macht Frauen (und oft auch Männer) an, bei denen er seinerseits vor allem Andeutungen findet und viel weniger „unverhüllt Deutliches“. Formen, die man erkennt, aber nicht genau sieht, einen Blick, der nicht so recht zu deuten ist, eine Haut, die er berühren möchte, aber durchaus nicht voraussehen kann, wie sie sich anfühlt. Er begehrt etwas, von dem er gar nicht genau weiß, wie es ist.
So, und nun die Nacktheit. Sie zeigt zunächst einmal alles, lenkt den Blick auf sich, weil sie ungewöhnlich ist. Ich sehe die Frau oder den Mann, ihr Körper liegt vor mir, es bleibt nicht viel zu erahnen, zu erkunden. Doch dann ist da ein neues Erlebnis: Automatisch ist der total nackte Körper, aber auch die nackte Brust einer Frau, aggressiv: Ich weiß nämlich im Grunde meines Herzens nicht, wie ich sie anschauen soll. Liegt da auch nur ein Hauch von BH drüber, trägt der Mann auch nur ein winziges Dreieck vorm Schwanz, kann ich unbekümmert hinschauen, aber die Nacktheit greift mich an, zwingt mich zur Unsicherheit. Aus der Offensive meines Papagallo-Gehabes gerate ich in die Defensive.
Da springt kein Hosenknopf auf, im Gegenteil: Der Papagallo wünscht sich nichts mehr, als daß dieser Busen bedeckt wäre, sogar mit härenem Tuch. Die Annäherung an eine Frau, die sozusagen „normal“, das heißt der Mehrheitsmode nach gekleidet ist, macht nicht die geringsten Probleme: Ist sie schön, hat sie schon Routine damit. Ist sie weniger schön, freut sie sich, ist geschmeichelt und sogar, wenn sie ihre Ruhe will, nicht böse. Die Nackte da aber, wer weiß, wie sie selbst ihre Nacktheit versteht. Möchte sie auffallen, freut sie sich nur an der Sonnenwärme, nutzt sie die unsichtbare Mauer, um mich fernzuhalten?
Es ist der Grund, warum die Nacktheit, das zögerlose Sichenthüllen, den Papagallo verscheucht hat. Ein Stück Kultur geht unter. „Papagallo“ stand nie für Tabulosigkeit, nie für Sittenlosigkeit, nie für Unmoral. Er verkörperte die Kultur der Annäherung. Einem unbekannten Menschen, der mir, als Bekleidetem, nackt begegnet, kann ich mich nicht nähern. Pierluigi Furlan
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