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Italienische Presse zur "Costa Concordia""Russisches Roulette"

Die italienischen Medien erheben schwere Vorwürfe gegen den Kapitän der Costa Concordia. Daneben überwiegt eine Frage: Wie konnte es zu dem Unglück kommen? Eine Presseschau.

Die Suche nach Vermissten geht weiter. Die Kritik am Verhalten des Kapitäns auch. Bild: dpa

La Repubblica: Vielleicht, so vermuten die Untersuchungsrichter, ist eine furchtbare "maritime Mutprobe" der Grund für den Schiffbruch. Schettino will sich und den anderen Offizieren etwas beweisen. "Wir steuern manuell," befiehlt er, "ich übernehme das Steuer." Und dieses Seemanöver, der Gruß an die Bewohner Giglios, es wird zum Russischen Roulette.

Corriere della Sera: Tragisch, ganz abgesehen vom Tod vieler Menschen, ist die erschütternde Kombination von Leichtsinnigkeit, Inkompetenz, Eitelkeit, Verantwortungslosigkeit und Feigheit. Wer sich dermaßen mit Schuld beladen hat, muss hart bestraft werden. Vorerst herrscht die totale Unsicherheit - denn sicher ist ja nur, dass so viele unentschuldbare Fehler hätten vermieden werden können, und damit auch ein solches Desaster, ein paar Meter vor der Küste Giglios.

Il Tirreno: "Captain, hören Sie..." singt der Liedermacher De Gregori. Aber der Kapitän hört nicht, die Titanic geht unter. Auch Francesco Schettino, der Kapitän der Costa Concordia, ist dem Rat der Küstenwache von Livorno nicht gefolgt: "Kapitän, begeben Sie sich zurück auf das Schiff und koordinieren Sie die Evakuierung, wie es das Gesetz vorschreibt!" Er, der Kapitän, war bereits an Land, hatte sein Schiff und die 4000 Passagiere zurückgelassen. Es scheint als hätte Schettino eingewilligt, "ok, ich gehe zurück." Zurückgekehrt ist er nicht, seinen Posten hat er verlassen.

Il Salvagente: Francesco Schettino: ein Bauernopfer? Ist es möglich, dass – nach den Worten der Costa Crociere – menschliches Versagen, der Fehler einer einzigen Person, ein solches Desaster auszulösen kann? Warum haben der zweite oder dritte Offizier nichts dagegen unternommen?

La Stampa: Mit einem einzigen Manöver hat es Kapitän Schettino geschafft, das Ansehen Italiens, das es sich mühsam wieder zu erarbeiten sucht, wie sein Schiff sinken zu lassen (...) Aber auch die Sündenböcke haben ein Recht auf Nachsicht. Doch wenn auch nur die Hälfte von dem, was über ihn gesagt wird, wahr wäre, letztlich können wir diesen Typ von Italiener, von dem wir behaupten, ihn nicht zu kennen, nicht ignorieren. Eher von sich eingenommen als tatsächlich selbstbewusst. Ohne Kenntnis der Verantwortung, die mit einer Tätigkeit einhergeht. Einer, der Dummheiten nachgeht, aus purer Lust an der Aufschneiderei. Der es danach verheimlicht, wie ein Mantra die Worte "alles gut, kein Problem" herunterbetet, selbst wenn das Schiff schon sinkt. Der es dann noch als Erster verlässt, die zurücklassend, die ihm vertrauen. Wenn ich mich umsehe, auch wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich ihn manchmal. Mich ängstigt nicht der Schettino an sich, mich ängstigt der Schettino in mir. (kap)

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3 Kommentare

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  • GS
    Gregor Schock

    Verehrte Redaktion u. Leser !

     

    Leider ist mir vor meinem letzten Kommentar, wahrscheinlich wegen flüchtigen Überlesens, eine Frage der "Il Salvagente" nicht aufgefallen. Dort heißt es " warum haben nicht der zweite oder dritte Offizier nichts dagegen unternommen?"

    Diese Frage taucht oft auch in Kommentaren der Leser, im Zusammenhang mit der Concordia-Katastrophe auf.

    1.) Das ist strengstens verboten und zwar international.

    2.) Solange der Kapitän noch aufrecht stehen kann ist es strengstens verboten ihn an seinem tun zu hindern, selbst wenn man sein Handeln als Wahnsinn erkennt. Jeder der diesen Grundsatz verletzt, muss sich dafür später vor Gericht verantworten und zwar nach sehr strengen Regularien.

    3.) Selbst wenn ein solcher Eingriff eine Katastrophe verhindert, ist das im Nachhinein ungeheuer schwer zu beweisen. Das beste Beispiel war der US-Film "Die cane war ihr Schicksal".

    Es sind einfach recht laienhafte Vorstellungen von den Hierarchien auf Schiffen.

    Stellen Sie sich vor, ein Fahrgast mit sämtlichen Führerscheinklassen, fällt einem Busfahrer ins Lenkrad, weil er glaubt damit einen Unfall verhindern zu können ! Das geht einfach nicht !

     

    MfG. Gregor Schock Hamburg... Schiffsing. im Ruhest.

  • GS
    Gregor Schock

    Verehrte Redaktion und Leser.

    Als Schiffsingenieur im Ruhestand erstaunen mich die Berichterstattungen der italienischen Medien.

    Die Selbsterkenntnis die da offen angesprochen wird, ist aller Ehren wert.

    Eine Persönlichkeit mit Matchogehabe gehört nicht in die Position als Kapitän, nicht einmal auf ein Fischerboot mit sechs Mann Besatzung, aber schon garnicht auf ein Passagierschiff. Das ist auf jeden Fall ein erhebliches Verschulden der Reederei. Ein Personalmanager einer großen Reederei sollte Psychologie studiert haben, mindestens vier Semester. Ein solcher Manager hätte ihn als ungeeignet erkannt.

    Als Unterhaltungsoffizier hätte man ihn ja ruhig beschäftigen können, da konnte er nichts falsch machen.

    Ich bin heute fast genau 69 Jahre alt und habe mich als 18jähriger bei Ford in Köln beworben und wollte dort am Band arbeiten. Der Personalmanager hat sich mit mir zwei Minuten unterhalten und hat die Einstellung ans Band abgelehnt. Er schlug vor mich in der Motorenmontage unterzubringen, denn am Band könne er keine denkenden Menschen gebrauchen. Ich zog beleidigt ab. Bereits drei Jahre später habe ich begriffen was er gemeint hatte. Später als Ingenieur habe ich mit jeder Reederei vereinbart, niemals nach dem Urlaub auf das gleiche Schiff gesteckt zu werden.

    Etwas langweiligeres hätte ich mir nicht vorstellen

    können. Dieser Personalmanager von Ford in Köln hat mich in zwei Minuten analysiert, wozu ich später Jahre gebraucht habe.

    Das ist der Grund dafür, daß ich die Hauptschuld an der Costa Katastrophe der Reederei gebe.

    Es zeichnet sich allerdings bereits jetzt schon ab, daß auch die USamerikanischen Anwälte auf der selben Schiene fahren, denn man konstruiert bereits intensiv an einer Hauptschuld der Reederei. Natürlich ist das der sicherste Weg, am Ende auch die geforderten Summen zu bekommen.

    Zu meiner Analyse passt auch die Erkenntnis : Mich ängstigt nicht der Schettino, sondern der Schettino in mir.

    Mit anderen Worten : Der falsche Mann am falschen Platz, ist eine Zeitbombe.

    Ein Kapitän muss von der Erkenntnis durchdrungen sein : Respekt und eine gewisse Demut vor der See und dem Wetter im Vergleich zu seinem doch sehr fragilen Schiff, egal wie groß es ist.

    Alle Kapitäne die ich kannte, die länger als 20 oder 25 Jahre in diesem Job tätig waren, hatten fast immer einen verbissenen Gesichtsausdruck und fast immer frühzeitig Falten im Gesicht. Das waren Leute die ihren Job ernst genommen haben.

    Dagegen ist Herr Schettino in seinem ganzen Gehabe eine Beleidigung für diesen Berufstand.

    MFG. Gregor Schock Hamburg.

  • M
    Matrose

    "Mich ängstigt nicht der Schettino an sich, mich ängstigt der Schettino in mir."

    Einer der klügsten und richtigsten Sätze, die je in der taz gedruckt wurden!

    Wenn der mal eines Tages mehrheitsfähig sein sollte,...