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■ Italien nach der Entkriminalisierung DrogenabhängigerStraffrei, aber auch vergessen

Rom (taz) – In normalen Zeiten“, sinniert der Chef der italienischen „Antiprohibitionistischen Liga“, Europaabgeordneter Marco Taradash, „wäre nun eine hitzige Debatte entbrannt, und man hätte die Sache wirklich weiter vorantreiben können. Doch wir haben eben keine normalen Zeiten.“ Taradash spricht über dasjenige unter den acht Referenden von Mitte April 93, das im Grunde die spektakulärste Entscheidung bedeutet hat – die Rücknahme der vor drei Jahren von der Parlamentsmehrheit eingeführten Kriminalisierung von illegalen Drogen abhängiger Menschen. Damit haben die Italiener ihren Herrschenden erklärt, was diese trotz unendlich vieler wissenschaftlicher „Beweise“ und politologischer Untersuchungen nicht verstehen wollten – daß Drogensucht neben einer sozialen Erscheinung eben auch eine Krankheit ist, die man nicht mit Knast austreiben kann.

Daß die Mehrheit für die Abschaffung der rechtlichen Sanktionen – sie reichten vom Paß- und Führerscheinentzug über Hausarrest bis zu sich steigernden Gefängnisstrafen im Wiederholungsfall – nur relativ knapp war, 54 zu 46, war genau das Ergebnis, was Taradash und seine Mitstreiter quer durch die Parteien erhofft hatten: So wäre dafür gesorgt, dachten sie, daß die Diskussion weiter anhält und man danach auch all die anderen Aspekte, die nicht in die Referenden eingehen, lösen kann.

Doch seit der Volksabstimmung legt sich nun ein merkwürdiger Mantel des Schweigens über die Drogenfrage – die gleichzeitig mitentschiedenen anderen Fragen, von der Änderung des Wahlrechts über die Parteienfinanzierung bis zum Verhältnis von Regionen zur Zentralgewalt, überdecken alles. Keine Diskussion über das grundwichtige Problem, wie man den Süchtigen weiterhelfen und noch nicht Süchtige abhalten kann, woher man Gelder für Entziehungsplätze oder Entwöhnungsgemeinschaften bekommen könnte: Schließlich gibt es in Italien über eine halbe Million von harten Drogen Abhängige, von denen gut 100.000 derzeit auf einen der 10.000 Kurplätze warten.

Auch die Diskussion um die Methoden, die Drogenabhängigen gegenüber angewandt werden (und angewandt werden dürfen), unterbleibt, versinkt im Nirwana. Verstummt ist die noch bis vor wenigen Wochen heftige Auseinandersetzung um die eher gewalttätige Form des Entzugs, wie sie Europas größte Entziehungsgemeinschaft San Patrigniano unter ihrem umstrittenen Leiter Vincenzo Mucciolo praktiziert und in deren Umfeld es offenbar sogar Morde wegen Nichtbeachtung der rigiden Vorschriften gegeben hat.

Marco Taradash sucht die Diskussion wieder in Gang zu bringen – er weiß vor allem eines: Kommt nicht gleichzeitig mit der nun als „Freigabe“ des Drogengebrauchs empfundenen Rücknahme der Kriminalisierung die dringend notwendige Reihe flankierender Maßnahmen in Gang, von der härteren Bestrafung des Drogenhandels im großen Stil über das Angebot von Ersatzdrogen auf ärztliches Rezept bis zur Bereitstellung ausreichender Mittel für Entwöhnungsbereite, wird die Stimmung im Land bald wieder kippen: „Es reicht dann, daß sich Eltern zusammentun, deren Kinder ihnen mit dem Argument: ,Es ist doch nicht mal strafbar‘, die Bude mit Hasch vollqualmen oder daß Zeitungen Berichte über den ,leichten Einstieg in die Drogenwelt‘ veröffentlichen, und schon bildet sich eine Volksbewegung heraus, die vom Staat fordert, ihnen die ,Behandlung‘ der Kinder abzunehmen, und zwar notfalls auch mit drakonischen Mitteln. Genau das aber wäre dann wieder die Situation, die wir gerade zu überwinden gesucht haben.“ Werner Raith

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