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■ Ist die SPD zu einem Reformbündnis in der Lage?Bremser und Blockierer

Alles scheint klar seit dem 14. Mai: Stabilisierung der Volksparteien, sterbende FDP, grüne Expansion, neue Variante des alten Dreiparteiensystems, rot-grüne Regierung in NRW und bald auch im Bund, die SPD in Aussicht auf die hereingetragene Macht in fröhlicher Stimmung. Doch die allenthalben apostrophierte „Zeitenwende“ hat noch keineswegs stattgefunden. Ob die Volksparteien weiter schrumpfen, die CDU eine konservative Mehrheit schafft, die FDP rechts einen Platz findet, wie ärgerlich im Osten die PDS bleibt, welche Perspektiven schwarz- grüne Bündnisse haben, all das „bleibt abzuwarten“.

Der Wettlauf um die neuen Dritten im Bunde ist erst angepfiffen. Die Grünen sind kompatibler, als sie selbst bislang wahrhaben wollen. Den CDU-Wählern ist mehr zuzutrauen, als die CDU glaubt. Die ökologische Reform als Minimum und tragendes grünes Anliegen ist mit CDU und SPD machbar. Dabei sind Schwarz und Grün erst aufeinander gestoßen, als die Grünen an der ignoranten, verharrenden und selbstherrlichen SPD abprallten. Diese glaubt, die Dinge laufen so oder so auf sie zu – und wird dabei am Ende für alle zum Klotz am Bein. In der SPD wurzelt die Stagnation des Landes.

Die SPD hat die soziale und politische Veränderung der letzten 20 Jahre nicht nur nicht aufgenommen und gestaltet, sondern sich ihr gegenüber nach allen Seiten demontiert. Diese Selbstdemontage trifft mit dem Wahltiefschlag in NRW nun sichtbar ihr traditionelles, bislang vermeintlich gesichertes Zentrum und den letzten unbefleckten, schon fürs Museum präparierten Landesvater. Die Mythen der Bremser und Blockierer von einer „eigenen Mehrheit“, vom Gegensatz zwischen Ökologie und Arbeitsplätzen, vom heilen Kern der Partei zerstäuben. Nach allen Seiten laufen die Wähler davon. Die Abgrenzung zu den Grünen, heimlich doch gepachtet, verhindert auch nicht deren Sieg. Die NRW-Traditionsfürsten wurden obendrein von der CDU geschlagen. Zuvor hatten sie Modernisierer im Bund oft scheibchenweise vorgeführt, Junge und Frauen gar nicht erst an die Töpfe herangelassen. Noch im Scheitern rufen sie, beim nächsten Mal ist die absolute Mehrheit wieder da, und sei es via Rot-Grün.

Die SPD hat ihre Identität verloren. Nach 89 hat sie sich um den Preis innerer Zerrissenheit und Lähmung, den sehnsüchtigen Blick auf den Gnadenakt einer großen Koalition fixiert, nach rechts angepaßt. Sie warf ihr politisches Eigengewicht ab, danach besann sie sich auf „Arbeit, Arbeit, Arbeit“. Das war per se nicht falsch. Nur tat sie es gespalten, halbherzig, konzeptionslos. Die einen propagieren den „Abschied von der Arbeiterpartei“, weil die sozialen Voraussetzungen aufgelöst sind und die Reste dieser Basis als Ballast für Macht- und Wirtschaftskompetenz gelten. Die anderen empfehlen der verbliebenen Industriearbeiterschaft, sich einzubunkern – mit der Konsequenz der Selbstaustrocknung. Wer Sozialpartnerschaft bei fortschreitender Rationalisierung und Sozialstaat bei leeren Töpfen praktiziert, erhält eben nicht mehr soziale Marktwirtschaft, sondern mehr Arbeitslosigkeit und Sozialabbau. Die aus dem „Kern“ herausgefallen sind – Erwerbslose, zweiter Arbeitsmarkt, Arme, Ausländer –, sie sind dem Blickfeld der SPD entschwunden. Auf sie spuckt man nur noch mit Verdikten vom Asyl- und Sozialmißbrauch.

Die Modernisierung im Blick auf neue soziale Fragen, zu der sie sich einst spät genug programmatisch verpflichten ließ, zerstörte sich die SPD selbst und mit ihr ihr bestes Personal. Eine Parteireform ist nicht in Sicht. Ökologische Politik blieb in Ansätzen stecken. Friedenspolitik wurde aufgegeben, Frauenpolitik mit Quoten abgehackt, das Verhältnis zur Jugend durch endlose Disziplinierung schier irreparabel beschädigt. Seit langem vertreibt die Partei mit System alle kreativen, abweichenden Kräfte aus ihrer Umgebung. Heute hat sie keine intellektuellen und politischen Reserven mehr. Sie rudert herum zwischen CDU, Traditions-SPD, altlinker Nostalgie und besserwisserischer Grün-Attitüde. Oder sie reduziert Politik auf Personalfragen. In großen Koalitionen unterscheidet sie sich nicht von der CDU. Und in den – erzwungenen – rot-grünen ist es nirgends zu einem echten Reformbündnis gekommen. Die Grünen stützen dem Dinosaurier ächzend die schweren Beine, obwohl die SPD die Grünen mehr braucht als diese sie.

Solange die SPD nur Ansprüche und Versorgungsprobleme hat, wird sich Stagnation nur steigern und Rot-Grün äußerst heikel werden. Das Bündnis hat keine Reformchance, wenn die SPD nicht sozialen Wandel und politischen Zeitenwechsel verdaut und auf die sozialen Fragen von heute antwortet. Was wird aus den „kleinen Leuten“ und den sozialen Verlierern der Moderne, die nicht dank Bildung und Sozialstatus die geborenen, sich selbst organisierenden Citizens sind, die Erwerbsarbeit finden oder auch lassen können? Wie wird Freiheit heute als Freiheit auch in Eigentumsrechten für viele buchstabiert?

Aus dem Status der „Lohnabhängigkeit“ resultierende Probleme haben sich bekanntlich nicht deshalb erledigt, weil sie nicht mehr kollektiv-gleichförmig, sondern unterschiedlich und individualisiert auftreten. Konstituiert als selbstbewußte, eigenständige WirtschaftsbürgerInnen, mit individualisierten und gesellschaftlichen Mitgestaltungsrechten, könnten sie sich gegenüber nackten, einzelwirtschaftlichen Verwertungsinteressen behaupten. Sie machen eine Produktivkraft der heutigen Gesellschaft aus, und ihr Wohlergehen verkörpert den Großteil der gesuchten „Wirtschaftskompetenz“. Nicht der Ausbau des traditionellen Sozialstaats weist den Weg in die Sicherheit, sondern die Verteilung der Arbeit, der für alle offene Zugang zur Wohlstandserwirtschaftung und zur gesellschaftlichen Mitgestaltung. Hier können sich soziale Gerechtigkeit und ökonomische Innovationsfähigkeit treffen, auch Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, ohne im Krisenfall den Sturz ins soziale Nichts einzuschließen.

Die Idee einer sozialen BürgerInnen-Freiheit heißt, da Interessenkämpfe zu erwarten, ja sogar notwendig sind, zivile Konfliktregelung jenseits von Tarifritualen fortzuschreiben und das Berufs- und Wirtschaftsleben zu demokratisieren. Die heute vielgelobte „Ressource Mensch“ käme neben dem Unternehmen auch dem Subjekt selbst zugute. Sie kann sich erst so entfalten. Auch der Kreis zu einer dringend benötigten zeitgemäßen Sicherheits- und Außenpolitik könnte sich auf diese Weise schließen. Rot-Grün sollte ein historisches Bündnis werden. Reif gewordene neue und alte soziale Bewegungen können – durchaus traditionsbewußt – ein wirklich modernes europäisches Deutschland schaffen. Mechtild Jansen

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