■ Ist die Love Parade politisch? Und ist das wichtig?: Politics of Dancing
Kritische Geister mißtrauen fröhlichen Gesichtern immer. Bei der Love Parade verbergen sich hinter den glücklichen Antlitzen vanitasmäßig ein paar tausend Tonnen Kot und hektoliterweise Urin, die den armen Berliner Tiergarten verwüsten. Der schöne Schein verschleiert die wahren Verhältnisse aus finsteren Zukunftsaussichten, Mangel an Lehrstellen und so weiter. Sich zu amüsieren, so die Kritik, schön und gut – doch sollten die Menschen, bitte schön, für ihre wirklichen Interessen auf die Straße gehen und im übrigen nicht so blöd dahergrinsen. Und auch nicht so gut aussehen. Außerdem erniedrigen die Veranstalter die Raver zu Statisten, um deren Bilder an die Medien zu verschachern. Es ließe sich noch mäkelnd ergänzen, daß die Veranstalter 1997 die Zahl der Beats auf 130 pro minute beschränkten, um alles massenkompatibler zu machen und daß es in diesem Jahr keine Umsonst&Draußen-Geschichten mehr gibt.
Und glatter Betrug ist es auch, wenn die Veranstalter vom ursprünglichen Motto – „Save our planet“ – wg. Mülldiskussion zu „Let the sun shine in your heart“ umschwenkten. Tanzen ist ohnehin Privatsache, also asozial, und die Masse sowieso faschistisch; je besser sie aussieht, um so faschistischer.
So ungefähr lautet die routinierte, alljährliche Kritik an der Love Parade. Freilich ist es mit der Gegenthese, daß Techno eine führerlose Utopie ist, auch nicht weit her. Als der Frankfurter DJ Mark Spoon bei der Abschlußkundgebung „Ich will Eure Hände sehen, ich will Eure scheiß Hände sehen“ in die Menge rief, und viele tausend Hände sich nach oben reckten, suchte man besser das Weite und fand anderswo schöne Parties.
Kurzum: Die Love Parade ist vom Standpunkt politischer Korrektheit aus gesehen kein erfreuliches Ereignis. Doch irgendwie klingt diese Rede vom Politischen ähnlich idiotisch wie die von Eltern, wenn die ihre Kinder auf den „Ernst des Lebens“ hinweisen – Schluß ist mit lustig und werd du erst mal erwachsen.
Zum anderen ist es nicht sonderlich schwer, zu begründen, weshalb das glücksentschlossene Massenfest durchaus politischen Charakter hat. Und dies gerade in einer Gesellschaft, die an zunehmender Vereinzelung krankt, die das Grundbedürfnis nach Rausch, Ekstase, Vermischung, sinnloser Verschwendung negiert oder im Wettkampf einsperren will. Wenn man's denn unbedingt so nennen will, ist die Love Parade also politisch: The Politics of Dancing. Also: Hallo, viel Spaß, und der Baum ist dein Freund! Detlef Kuhlbrodt
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