■ Ist die Fußball-Frage revolutionär?: An der Spitze der Bewegung
Mitschnitt einer konspirativen Sitzung der „Cesar-Luis-Menotti- Gesellschaft zur Förderung des linken Fußballs e.V.“
„Genosse L. aus Rostock eröffnet die Sitzung mit einer kurzen Lageanalyse. Bitte, Genosse.“
„Danke. Ich denke, wir sind uns einig, daß neben der Rechtschreibreform nur noch die Fußball-Frage die Massen mobilisieren kann. Die neuesten Umfragen haben ergeben, daß 68 Prozent aller Fußballinteressierten dagegen sind, daß Fußball-WM-Spiele der Nationalmannschaft nur noch im Pay-TV zu empfangen sind. 87 Prozent wären nicht bereit, dafür zu zahlen. Ich denke, Genossen...“
„Genossinnen!“
„Natürlich, Genossin S. Ich denke also, nie waren wir einer revolutionären Situation so nahe wie heute. Mit Lenin meine ich: Wir müssen bereit sein, uns an die Spitze der Bewegung zu setzen, damit sie nicht in Anarchie versinkt. Gramsci hat gezeigt, wie wichtig es ist, die Hegemonie...“
„Elender reformistischer Opportunist. Wie kann man eine revolutionäre Bewegung ausgerechnet mit der Nationalmannschaft entfachen wollen? Das ist sozialfaschistisch!“
„Genosse Y.! Wir kennen deinen kleinbürgerlichen Nonkonformismus zur Genüge. Der bringt uns hier nicht weiter. Wir müssen die Massen da abholen, wo sie stehen...“
„Stehen? Ja, wo stehen sie denn? Etwa auf der Haupttribühne...? Steht auf, wenn ihr...“
„Disziplin, Genosse! Nur weil du Bundes-Berti nicht magst, weil er meint, daß zu viele Holländer in deinem Verein spielen...“
„...und Belgier! Und Tschechen! Alles echte Schalker...“
„Schnauze, ihr Macker!“
„Bitte, Genossin S. aus St. Pauli hat das Wort.“
„Ich bin dafür, wir entführen den Kirch, und damit hat sich's!“
„Einverstanden. Und Möllemann entsorgen wir gleich mit. Aber erst, wenn der gute Leo unsere schöne neue Arena mit Schiebedach gebaut hat. Ich kann diese ungemütliche zugige Schüssel von Parkstadion nicht mehr ab. Ich denke, das ist auch revolutionstheoretisch voll in Ordnung. Wir können schließlich nicht einfach eine Stufe überspringen. Erst der voll entwickelte Kapitalismus schafft die Voraussetzungen für den Sozialismus.“
„Aber mit Stehplätzen! Und unser Lars wird in der VIP-Lounge den Imperialisten eigenhändig die Nadelstreifen runterreißen!“
„Sicher, und Dortmund wird wieder Meister. Träum weiter, Genossin L.“
„Du kannst alleine nach Hause fahren, Genosse Y., wir passen einfach nicht zusammen.“
„Heul doch!“
„Euren Beziehungsknatsch könnt ihr woanders austragen. Genosse H. aus München hat sich zu Wort gemeldet.“
„Ich denke, das sind alles Nebenwidersprüche. Der Hauptwiderspruch in der Ereignisgesellschaft lautet schlichtweg: Kann ich am Ereignis teilnehmen oder nicht. Auf den Fußball bezogen...“
„...macht ihr mit eurer Kohle uns Kleine kaputt. Von wegen Solidarität.“
„Ah, Genosse Sch. aus Karlsruhe ist mal wieder sozialneidisch.“
„Er hat doch recht! Von wegen Einheitsfront. Wer hat uns verraten...“
„Ein bißchen weniger alternative Träume, dann klappt's auch mit dem Aufstieg, lieber Genosse V. aus Freiburg.“
„Sagt mal, wie spät ist es eigentlich?“
„Scheiße, schon 18 Uhr durch. Mensch, mach die Kiste an.“
„Daß man sich das antut...“
„Willst du zurück zu Faßbender?“
„Laß mal, nach der Revolution hat es sich ausgerant!“
„Was ist denn das da am Fernseher? Eine Wanze...?“ Peter Mast
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