Israel: Raketenangriff aus Gazastreifen
69 Verletzte beim Beschuss auf eine israelische Basis: Die Hamas feiert den Beschuss. In Israel herrscht Unmut darüber, dass er nicht verhindert wurde.
Fröhlich hupend und mit flatternden gelben Fahnen paradierten gestern Aktivisten des Islamischen Dschihad durch die Straßen des Gazastreifens, um ihren Raketenangriff auf die israelische Kaserne Sikim zu feiern. Bei dem bisher folgenschwersten palästinensischen Schlag auf israelisches Staatsgebiet wurden 69 Soldaten zum Teil schwer verletzt, ein Soldat schwebt in Lebensgefahr.
Auf palästinensischer Seite lobte ein Sprecher der islamistischen Hamas-Regierung den "göttlichen Sieg des Widerstands". In Israel forderte nicht nur die rechte Opposition einen sofortigen Einmarsch in den Gazastreifen, auch in der breiten Koalition des Premiers Ehud Olmert wurden Rufe nach Vergeltung und der sofortigen Einstellung von Friedensgesprächen laut.
Die Kassam-Rakete war um halb zwei Uhr nachts in der Sikimkaserne etwa 1.000 Meter nördlich der Grenze zum Gazastreifen eingeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt schliefen die Rekruten in Zelten. Es war die letzte Nacht vor der Beendigung ihrer Grundausbildung. "Es war ein Blutbad. Die Jungen lagen stöhnend umher", berichtete eine Soldatin. Dutzende besorgter Eltern demonstrierten gestern vor den Toren von Sikim mit der Forderung, ihre Kinder sofort nach Hause zu schicken.
In Israel wächst der Unmut über die Unfähigkeit der Regierung, das Problem der Kassam-Raketen zu bewältigen. Seit sechs Jahren gelingt es der größten Militärmacht des Nahen Ostens nicht, den Beschuss durch palästinensische Organisationen einzudämmen. Mehr als 5.000 Kassams wurden bereits abgeschossen. Die Gebiete im Norden Gazas werden inzwischen rund um die Uhr aus der Luft observiert. Zeppeline der Aufklärung und Hubschrauber schwirren in der Luft, während israelische Spezialeinheiten bis zu zwei Kilometer tief im Landstrich operieren, doch nur mit wenig Erfolg. Jetzt mehrt sich die Anzahl der Minister, die einen Einmarsch von Bodentruppen für unausweichlich halten: "Wir müssen dafür sorgen, dass nicht wir, sondern die Hamas in Gaza Bunker bauen muss", forderte Innenminister Meir Schitrit.
Angesichts der wachsenden Spannungen mit Syrien im Norden ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Armee jetzt eine Invasion Gazas wünscht. Die meisten Beobachter erwarten eine Ausweitung der gezielten Tötungen in Gaza. Gestern wurden laut palästinensischen Angaben im Norden Gazas vier Menschen bei einem Vergeltungsschlag der israelischen Luftwaffe verletzt. Angesichts der Ohnmacht der Armee erwägt man jedoch auch andere Alternativen: "Es ist absurd, dass die Hamas unser Kraftwerk in Aschkelon beschießt und wir ihnen Strom liefern", sagte Vizepremier Haim Ramon, einer der engsten Berater Olmerts, gestern. Damit gesellte er sich zu den Befürwortern der Idee, dem von Israel abhängigen Landstrich als Antwort für den anhaltenden Beschuss Strom und Wasser abzudrehen. Wegen des anhaltenden Beschusses der Grenzübergänge soll zudem jeglicher Warenaustausch völlig unterbunden werden.
Für Premier Olmert hätte der Kontrast nicht größer sein können. Am Vortag hatte er dem gemäßigten palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas bei einem Gipfel in Jerusalem versprochen, sich für die Freilassung von 100 palästinensischen Häftlingen einzusetzen. Weiterhin hatten Abbas und Olmert im Vorfeld einer für November angesetzten Nahost-Friedenskonferenz weitere Details einer Friedenslösung besprochen. Gestern gehörte Olmerts Aufmerksamkeit hingegen ungeteilt den Militärs, die ihn über die Angriffsmöglichkeiten in Gaza unterrichteten.
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