: „Irre Konstruktion“ der Bundesanwaltschaft
■ Andrea Sievering als Zeugin im Stammheimprozeß gegen Luitgard Hornstein bestritt Teilnahme am Dornier-Anschlag und RAF-Mitgliedschaft / Ihre überraschende Aussage soll Urteil verhindern
Von Edgar Neumann
Stuttgart (taz) - Bevor sich der 4. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts in die Sommerferien und eine 30tägige Verfahrenspause begab, hörte das Gericht am 14.Verhandlungstag im Dornierprozeß gegen Luitgard Hornstein als Zeugin Andrea Sievering. Die 31jährige war im November 1988 selbst wegen des Sprengstoffanschlags auf den Rüstungskonzern und wegen Mitgliedschaft in der RAF zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
„So‘ ne Spontikiste“, wie sie vom Staatsschutz konstruiert werde, stehe völlig dem wirklichen Ablauf des Anschlags auf die Firma Dornier im Juli 1986 entgegen, erklärt Andrea Sievering in ihrer Zeugenaussage in der Prozeßneuauflage gegen Luitgard Hornstein. Aktenkundig sei, daß sie noch am gleichen Tag bei der Post in Düsseldorf Geld abgehoben habe. Es sei deshalb eine „irre Konstruktion“ der Bundesanwaltschaft, sie habe in der darauffolgenden Nacht an den Bodensee fahren können, um dort einen nach den vorliegenden Erkenntnissen gutorganisierten Anschlag durchzuführen. Das in den bisherigen Prozessen gegen Christian Kluth, Luitgard Hornstein, Erik Prauss und sie selbst vorgebrachte Indiz, daß sie die Briefumschläge der Bekennerschreiben zum Dornieranschlag adressiert habe, bestritt die Zeugin ebenso wie den Vorwurf, sie gehöre der RAF an. Tatsache sei, daß der private Hamburger Graphologe Hans Ockelmann ein Fälscher sei, der sein Gutachten über ihre Schrifturheberschaft im Interesse der Bundesanwaltschaft erfunden habe.
Selbst in ihrem eigenen Prozeß hatte Andrea Sievering eine so deutliche Aussage nicht gemacht. Als Grund dafür gab sie nun vor Gericht an, daß es bisher nicht ihre Sache gewesen sei, dem Staatsschutz Hinweise über Arbeitsweisen und Zusammenhänge des militanten Widerstandes, dem sie angehöre, zu geben. Überdies sei es auch darum gegangen, zunächst mit politisch-juristischen Mitteln gegen die Anklagekonstruktionen vorzugehen. Nachdem sich nun abzeichne, so Andrea Sievering, daß der OLG-Senat trotz dünner werdender Beweislage alles daran setze, auch gegen Luitgard Hornstein ein weiteres hohes Strafmaß zu verhängen, habe sie sich zu dieser Zeugenaussage entschlossen. Zu einer Befragung der Zeugin kam es an diesem Prozeßtag nicht mehr, da die Angeklagte Hornstein aufgrund einer Sommergrippe nur bis zur Mittagszeit verhandlungsfähig war. Die weitere Zeugenvernehmung wird das Gericht deshalb nach der Sommerpause fortsetzen. Dabei wird es für die Verteidigung vor allem darum gehen, ihre Aussage - weder etwas mit dem Dornieranschlag zu tun zu haben noch Mitglied in der RAF zu sein - mit den vorherigen Zeugenaussagen von Erik Prauss und Christian Kluth in Beziehung zu setzen. So soll die These der Bundesanwaltschaft von der „kämpfenden Einheit der RAF“
-Prauss, Sievering, Kluth, Hornstein -, die den Sprengstoffanschlag verübt haben soll, gründlich widerlegt werden. Um zu vermeiden, daß von Zeugen in der Hauptverhandlung gemachte Aussagen nachträglich falsch wiedergegeben werden, hatten die Hornstein-Anwälte am vorigen Verhandlungstag beantragt, allen Prozeßbeteiligten Tonbandabschriften der Zeugenaussagen von Erik Prauss und Christian Kluth zur Verfügung zu stellen. Als das Gericht dies ablehnte, stellten die Anwälte den ersten Befangenheitsantrag gegen den gesamten Strafsenat, den dieser jedoch mit den Begründung „unzulässig“ zurückwies.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen