piwik no script img

Irgendwie sehr befreit

Holzschnittartig, ein bißchen antiquiert, aber ohne Alternative: 15 Jahre nach der Erstauflage gibt Günter Amendts „Sex-Buch“ immer noch Antworten auf ewige Fragen der Jugend  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Neben dem Dortmunder „Festival der Jugend“ war Günter Amendts 1970 im März-Verlag erschienene „Sexfront“ eine der wenigen sozialistischen Sozialisationsinstanzen, die breite Teile der aufbruchsinteressierten westdeutschen Jugend erreichte. Die Bedeutung der „sexualpolitischen Streitschrift“ (Amendt) für die fortschrittliche Jugend kann kaum überschätzt werden – viele der mittlerweile zwischen dreißig- und vierzigjährigen Herumhängenden hatten hier zum ersten Mal staunend auf jugendlich-gegengeschlechtliche Genitalien geblickt.

Früher lauteten die Bildunterschriften dazu: „Mach kein Getöse – Zeig deine Möse“, respektive „Mach keinen Tanz – Zeig deinen Schwanz“. Das klang zwar ein wenig blöde, infantil und schien den pubertierenden Sorgen und Ängsten nicht ganz angemessen zu sein, dennoch waren „Sexfront“ und vor allem die 1978 erschienene, veränderte, erweiterte und in Bayern gern beschlagnahmte Version „Das Sex-Buch“ auf weiter Flur die einzigen Aufklärungsbücher, die unterhaltsam und kämpferisch für die sexuellen Rechte Jugendlicher eintraten. Vergleichbares sei bis heute nicht erschienen, meint selbstbewußt der mittlerweile 54jährige Dylan-Freund und Sex-Experte Amendt – und brachte deshalb eine neubearbeitete Version seines Erfolgstitels heraus. Schon vor seinem Erscheinen provozierte „Das Sex-Buch“ ein willkommenes Skandälchen: „Mattell“ klagte erfolgreich dagegen, daß Barbiepuppen in Sexposen dargestellt werden sollten; nun kopulieren Holzpüppchen miteinander.

Inzwischen sind zwar Fotos jugendlicher Genitalien auch in der Bravo gang und gäbe – in der kürzlich erschienenen Serie „Body- Check“ konnten verunsicherte Teenager gleich zwölf verschiedene Standardbusen, -schwanz und -mösenformen und -muster mit den eigenen Intimitäten vergleichen und sich, wenn sie Glück hatten, auch darin wiederfinden – doch in Sachen Kinder- und Jugendsexualität hat sich „grundsätzlich nichts geändert“, findet Amendt, der 1973 über das schöne Thema „Haschisch und Sexualität“ promovierte. „Es gibt immer noch die Angst vor der Selbstbefriedigung, es gibt immer noch diese Verleugnung der kindlichen Sexualität.“ Und „was sind schon 15 Jahre für ein Phänomen wie Sexualität?“

So posiert der graumelierte Althippie mit Pünktchenweste auch weiterhin im ganzseitigen Innencover vor seinem Hamburger „Institut für Körperkontakte“, um im Inneren weiter die ewigen Fragen der Jugend nach Onanie, Phimosen, Aids, Erst-, Zweit-, Anal-, Oral- und sonstigen Verkehren jugendgerecht zu entdämonisieren. Sein „Sex-Sündikat“ öffnet sich dabei wohlweislich „nicht für alle Klassen“.

Im folgenden allerdings hat man den Eindruck, daß die sicher notwendige Klassenfrage, die der Dreitagebärtige voranstellt, oft nicht viel mehr ist als ein Schülerzeitungswitz. Zwar zieht Amendt entschlossen gegen die Kommerzialisierung der pubertierenden Sehnsüchte via Bravo, Patentex Oval und Clearasil zu Felde, referiert die Geschichte der bürgerlichen Familie als patriarchale Erb- und Wirtschaftsgemeinschaft, denunziert die sich wirtschaftlichen Erfordernissen unterordnende kapitalistische Familienpolitik, wettert gegen die Männerherrschaft und zitiert nebenbei der Arbeiterbewegung nahestehende Frauengruppen, die die Frauenfrage als Nebenwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise sehen, spezifisch proletarische Sozialisationserfahrungen gegenwärtiger Jugendlicher kommen jedoch kaum zur Sprache. Seine jugendlichen GesprächspartnerInnen – der pubertierende Lehrling Kai-Uwe, der den Part des entwicklungsfähigen Machos übernimmt, und die vorbildhafte, stets politisch korrekte, gewerkschaftlich engagierte Ulrike, die ihre Klitoris „Doris“ und ihre Möse „Tor zum himmlischen Frieden“ nennt (ein ziemlicher Fauxpas, denn hinter dem Tor liegt der Platz) und bei der „zu Hause immer hemmungslos gefurzt wurde“ (was Amendt irgendwie sehr befreit findet), wirken doch ein bißchen holzschnittartig. Und wieso und inwiefern sich in hundert Jahren „prinzipiell nichts“ an der Lage der proletarischen Familie geändert hat, wird auch nicht so recht deutlich.

Gerade in dem eher lustfeindlichen und gewalttätigen Klima nach der Vereinigung ist „Das Sex- Buch“ dennoch und weiterhin empfehlenswert. Amendt verweigert sich dem Trend, der inzwischen allwöchentlich veränderte Sexmoden und -trends propagiert, so als gäbe es analog zur Reichenkleidung jedes Jahr eine neue Sexkollektion, die man tragen muß, will man nicht hoffnungslos lustunfähig und langweilig werden. Kompromißlos und gegen die Renaissance „männlicher“ Tugenden propagiert er gleichberechtigte Lust, den nicht hierarchisch in erogene Zonen zerfallenen Körper, Geschlechtsvermischungen und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht aller Teenager.

Ob die das ein bißchen altmodisch spontihaft gestylte Buch, das ihnen ihre Eltern schenken mögen, allerdings so begeistert aufnehmnen werden wie ihre Vorgängergeneration, sei dahingestellt. Die Wünsche Jugendlicher mögen sich in den letzten 15 Jahren zwar tatsächlich kaum verändert haben, der gesellschaftliche Rahmen jedoch, in dem Teenager versuchen, ihre Wünsche zu realisieren, ist ein anderer. So wirkt die optimistische Grundhaltung, die Amendt einnimmt, obgleich er um die Veränderungen weiß, manchmal ein bißchen antiquiert. Die Vorstellung zum Beispiel, daß die junge Lust links sei, daß diejenigen, die sich gesellschaftlich engagieren, sozusagen darauf rechnen können, mit nicht entfremdetem Sex belohnt zu werden, wirkt heute noch weltfremder, als sie es früher vielleicht ohnehin schon war.

Günter Amendt: „Das Sex-Buch“. Elefantenpress, 288 Seiten, 29,90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen