Irakerin in Kirchenasyl: Flucht vor der Familie
Eine junge Irakerin war keine Jungfrau mehr, als sie vor einer Zwangsehe über London ins Hamburger Kirchenasyl floh. Das Verwaltungsgericht rät ihr, sich das Jungfernhäutchen zunähen zu lassen.
HAMBURG taz | Sie will Zainab Sulman heißen. Ihren richtigen Namen verrät sie nicht, es soll auch sonst keine Information nach außen dringen, anhand derer man sie identifizieren könnte. Denn dann könnte ihre Familie kommen und sie töten, sagt Sulman. Weil sie sich bis heute weigert, ihren drei Jahre jüngeren Cousin zu heiraten. Im Mai vergangenen Jahres war sie deshalb - nach zwei Selbstmordversuchen - zuerst zu ihrem Großvater nach London und dann allein nach Hamburg geflohen. Seit einigen Wochen hat sie in einer Hamburger Kirche Asyl gefunden.
Nach der Dublin-II-Verordnung darf Sulman nur in dem EU-Land Asyl beantragen, das sie zuerst betreten hat. In ihrem Fall wäre das Großbritannien - dort leben ihre Verwandten, und Sulman hat Angst vor einem so genannten Ehrenmord.
"In England wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie mich finden", sagt Zainab Sulman und streicht sich ihre Haare aus dem Gesicht. Ihre Familie sei sehr wohlhabend, einflussreich - und streng muslimisch. "Keine deutsche Frau kann sich vorstellen, was für ein Leben ich hatte. Ich wurde von meinen Eltern wie ein Tier behandelt: Als meine Mutter mich einmal beim Rauchen erwischte, schlug sie mir mitten ins Gesicht und sperrte mich zwei Wochen in meinem Zimmer ein." Sulman durfte studieren, doch jetzt nach dem Abschluss soll sie Ehefrau und Mutter werden.
… trat im Februar 2003 in Kraft.
Der Grundgedanke: Ein Asylsuchender darf nur einen Asylantrag in dem Land stellen, über das er in die EU eingereist ist. An dem System beteiligen sich auch Norwegen, Island und die Schweiz.
Die Kritik: Die Überstellung in ein anderes Land trifft die Betroffenen oft völlig unvorbereitet.
Ausnahme I: Laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte dürfen Flüchtlinge nicht mehr nach Griechenland überführt werden - aufgrund von Mängeln im dortigen Asylsystem.
Ausnahme II: Jedes Land kann aus "außergewöhnlichen humanitären Gründen" von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen.
Dabei wünscht sie sich nichts mehr, als ihren Master zu machen, sagt sie, einen Job und eine Wohnung zu finden und, ja, irgendwann auch zu heiraten - aus Liebe. "Dieses Wort existiert in unserer Kultur nur theoretisch, in meiner Familie habe ich es zumindest nie gehört", sagt sie. Als Kind habe sie immer die Oprah-Winfrey-Show im Fernsehen gesehen, heimlich, wenn ihre Eltern schon im Bett waren. "So ein Leben wie die westlichen Frauen im Fernsehen möchte ich auch führen, frei und selbstbestimmt."
Eine erste Entscheidung hat sie bereits getroffen: Sie will in Deutschland bleiben. Es gehe ihr nicht darum, einen deutschen Pass zu bekommen, sagt sie. "Ich will nur das Recht haben, zu studieren und zu arbeiten."
Ende Januar sollte Sulman nach London zurückgebracht werden. Sie ließ den Flugtermin verstreichen und floh in Kirchenasyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bewertete dies als Untertauchen, da es zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis über ihren Aufenthaltsort hatte. In einem einstweiligen Verfahren hatte das Hamburger Verwaltungsgericht bereits abgelehnt, sie mit einem Asylverfahren in Deutschland zu schützen. Die endgültige Entscheidung wird erst in der Hauptverhandlung im Mai getroffen.
In dem Gerichtsbeschluss, der der taz vorliegt, steht, im Fall Sulman lägen keine "außergewöhnlich humanitären Gründe" vor, die ein Asylverfahren in Deutschland begründen würden. Vielmehr empfiehlt das Hamburger Gericht Sulman, die keine Jungfrau mehr ist, sie solle sich das Jungfernhäutchen operativ zunähen lassen, "dass es zur Täuschung für die Hochzeitsnacht genügt".
Dieser Vorschlag macht Sulmans Anwältin Cornelia Ganten-Lange "einfach nur fassungslos". Sie fordert die Bundesregierung auf, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, das ein Asylverfahren in Deutschland ermöglicht.
Das Verwaltungsgericht selbst versteht diese Aufregung nicht. Sulman habe ihre Angst damit begründet, dass sie keine Jungfrau mehr sei, sagt deren Sprecherin Susanne Walter. "Und ob sie in Deutschland tatsächlich sicherer ist als in England, kann ich nicht beurteilen."
Die kirchliche Organisation Hamburgasyl will jetzt eine Onlinepetition bis in den Bundestag bringen, die für den baldigen Beginn eines Asylverfahrens in Deutschland sorgen soll. Wenn diese keinen Erfolg hat, muss Zainab Sulman ein Jahr im Kirchenasyl ausharren. Das ist die Frist, innerhalb derer die englischen Behörden sie zurückholen können.
"Die Vorstellung, ein Jahr warten zu müssen, ist ein Schock für mich", sagt Zainab Sulman. Aus Angst verlässt sie selten ihre Unterkunft. Meistens schaut sie fern, putzt und lernt etwas Deutsch. "Verboten" ist das Wort, das sie sich als Erstes beigebracht hat. Sie sagt, es bringt ihr Leben auf den Punkt.
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