: Irak darf Öl gegen Lebensmittel tauschen
■ Nach fast sechs Jahren lockert die UNO das Embargo gegen Bagdad. Im Irak wird gefeiert, die internationale Ölindustrie bleibt gelassen, für die US-Regierung ist es eine "humanitäre Ausnahme"
Bagdad/New York/London (AP/AFP/rtr) – In Bagdad knallten die Pistolen: Mit Freudenschüssen feierten Iraker die erste Lockerung des seit fast sechs Jahren andauernden UN-Embargos gegen ihr Land. Nachdem der staatliche Rundfunk die Nachricht gemeldet hatte, liefen die Menschen in der Hauptstadt auf die Straßen und feierten.
Nach monatelangem Zögern hatte sich Staatschef Saddam Hussein endlich bereit erklärt, die Bedingungen der UNO für begrenzte Ölexporte zu akzeptieren. Die Auflagen für die Verwendung der Erlöse – sie sollen für Nahrungsmittel und Medikamente ausgegeben werden und der gesamten Bevölkerung zugute kommen, also auch den oppositionellen Kurden und Schiiten – hatte er bisher als eine inakzeptable Einschränkung der irakischen Souveränität abgelehnt. Die Sanktionen waren nach dem irakischen Überfall auf Kuwait im August 1990 verhängt worden.
Aufgrund des strengen Embargos sind in Irak nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef Monat für Monat 4.500 Kinder an den unterschiedlichsten Krankheiten gestorben. Vor der Invasion in Kuwait waren es durchschnittlich 600. Die Zahl der Fälle von Unterernährung stieg von nahezu null auf 20.000 im Monat.
Vor dem Krieg galt Irak als eines der Länder mit der besten Gesundheitsversorgung in der Region. Die dafür vorgesehenen Haushaltsausgaben lagen bei mehr als 400 Millionen Dollar im Jahr. Jetzt sind es noch etwa 25 Millionen Dollar, und in den Krankenhäusern fehlt es selbst an den nötigsten Medikamenten. „Wir brauchen Hilfe, und wir brauchen sie schnell“, sagt ein Arzt der Zentralen Kinderklinik in Bagdad.
Seit Febraur hatten Delegierte Iraks und der UNO über eine Lockerung des Embargos verhandelt. Die Einigung war am Montag im UN-Hauptquartier in New York bekanntgegeben worden und ist in einem zwölfseitigen Memorandum festgehalten. UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali unterrichtete den UN-Sicherheitsrat von der Neuigkeit. Die US-Botschafterin bei der UNO, Madeleine Allbright, bezeichnete die Lockerung als „humanitäre Ausnahme“, durch die das System der UN-Sanktionen gegen den Irak nicht aufgehoben werde.
In etwa einem Monat soll der Ölhahn für den Export irakischen Öls aufgedreht werden. Dann kann der reichlich vorhandene Rohstoff ein halbes Jahr lang ausgeführt werden – alle 90 Tage Rohöl im Wert von einer Milliarde Dollar. Die Iraker hoffen, daß die Ausnahmeregelung der Anfang vom Ende des Alptraums sein möge – eine Hoffnung, die sich im Wechselkurs der Währung ausdrückt: Am Montag stieg der Wert des irakischen Dinar um ein Drittel.
Auf den Ölpreis hatte die Nachricht dagegen kaum Einfluß. Rohöl der führenden Nordseemarke Brent fiel in London zeitweise um 79 Cents auf 16,75 pro Barrel (1 Barrel = 159 Liter), erholte sich jedoch später wieder auf 17,72 Dollar. Händler sagten, der Markt habe viel Zeit gehabt, sich darauf einzustellen, daß der Irak in begrenztem Unmfang wieder Öl exportieren dürfe. „Um ehrlich zu sein, dies ist keine Überraschung mehr“, sagte Charles Gray von Prudential Bache. „Der Ölpreis ist in den vergangenen drei Wochen um drei Dollar je Barrel gesunken, also ist es ganz gut in den Preisen berücksichtigt.“ Jim Placke, Analyst bei Cambridge Energy Research Associates sagte, der Markt habe auf klassische Weise ein künftiges Ergebnis vorweggenommen und dann überreagiert. Deshalb seinen die Auswirkungen der Einigung Iraks mit der UNO im Wesentlichen wohl schon in den Kursen enthalten.
Der Generalsekretär der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC), Rilwanu Lukman, erklärte gestern dagegen, seine Organisation werde sicher etwas unternehmen, um die Auswirkungen eines Zuflusses von irakischem Öl auf den Weltmarkt abzumildern. Es sei jedoch zu früh, um zu sagen, wie die OPEC reagieren werde.
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