Invasion der Marienkäfer: Gute Käfer, schlechte Käfer
In der Marienkäferwelt ist ein erbitterter Kampf um die Blattläuse im Gange. Der Glücksbringer droht darüber seinen guten Ruf zu verlieren
Im Allgemeinen erfreuen sich Käfer keiner großen Beliebtheit. Einer aber war schon immer der Symphatieträger des ganzen Krabbelviehs und machte sich als Zierde jeder Glückwunschkarte einen Namen: der Marienkäfer. Der Marienkäfer ist nämlich nicht nur hübsch anzusehen, er vertilgt auch Unmengen an Blattläusen in seinem kurzen Leben.
Marias Käfer
Als natürlicher Schädlingsbekämpfer brachte der Marienkäfer der Ernte so viel Glück, dass ihn, so meinten die Bauern, nur die heilige Mutter Maria geschickt haben kann. So entstand ein jahrhundertealter Mythos, der dem Marienkäfer einen Platz an der Seite von Hufeisen, Schwein und Kleeblatt sicherte. Und bis heute gilt: Wem er auf den Finger fliegt, der darf sich was wünschen.
Doch genau dieser Mythos wankt. Denn den in Mitteleuropa verbreiteten Arten, allen voran dem Siebenpunkt-Marienkäfer, macht seit einigen Jahren ein Verwandter aus Asien die Blattläuse streitig. "Der asiatische Marienkäfer ist einfach fitter", sagt Julian Heiermann, Insektenexperte beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Der Asiatische frisst mehr Blattläuse und hat mehr Sex. Gern auch beides gleichzeitig - schließlich dauert ein Marienkäferleben nur ein bis drei Jahre. Während Siebenpunkt nur auf einmal Nachwuchs pro Jahr kommt, bringt es der Neue auf mindestens zwei Durchgänge und damit auf noch mehr potenzielle Lausfresser - ein Supernützling also.
Dieser Text stammt aus der aktuellen sonntaz vom 31.7./1.8.2010 - ab Samstag mit der taz am Kiosk oder direkt in ihrem Briefkasten.
Deshalb wurde er vor knapp zehn Jahren aus Asien eingeführt, um in deutschen Gewächshäusern aufzuräumen. Er erledigte seinen Job gut - aber dabei blieb es nicht: Der asiatische Marienkäfer entflog achtlosen Gewächshausbesitzern und krempelt seit 2002 die heimische Marienkäferpopulation um. Experten beobachten die Entwicklung besorgt und sprechen inzwischen von einem unumkehrbaren Trend.
Popvariante aus Fernost
"Der asiatische Marienkäfer ist so knallig kitschig", sagt Insektenkundler Heiermann. Das brachte dem Käfer auch den Zweitnamen Harlekin ein. Es gibt ihn in den verschiedensten, vorzugsweise poppig-leuchtenden Farben: gelb, orange, knallrot bis schwarz. Mit ganz vielen Punkten oder auch keinem einzigen.
Bei manchem Exemplar sind die Punkte so aus der Form geraten, dass der Käfer aussieht, als wäre er schwarz mit roten Punkten. Den Insektenkundlern dient eine W-Zeichnung am Halsschild als Erkennungsmerkmal. Um das zu entdecken, muss der Laie aber sehr genau hinschauen.
Der Harlekin sieht nicht nur anders aus, er verhält sich auch anders als die einheimischen Arten. Er frisst nicht nur Läuse, sondern den Obstbauern auch die Früchte an. Ein Phänomen, das Insektenkundler beim Siebenpunkt nie beobachtet haben. Außerdem stinkt der Neue: Bei Gefahr sondert er wie alle Marienkäfer ein gelbliches Sekret ab, das bitter schmeckt und unangenehm riecht. "Aber sein Abwehrsekret ist hundertmal stärker konzentriert als das der heimischen Arten", erklärt Biologin Stefanie Hahn vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
Während das Sekret vom Siebenpunkt nur hässliche gelbe Flecken auf dem weißen Sommerkleid hinterlässt, verärgern die Asiatischen mit ihren Ausscheidungen die Winzer, wenn sie zuhauf in der Traubenpresse landen. "Die Weinbauern beklagen sich bei uns, dass das bittere Sekret den Wein verdirbt", sagt Stefanie Hahn. Da wird der Harlekin zum Hassobjekt. Selbst wenn er vorher noch so fleißig Läuse von den Rebstöcken gelesen hat.
Der asiatische Marienkäfer ist also mitnichten Everybodys Darling. Munter krabbelt er auf dem schmalen Grat zwischen Nützling und Schädling. Und das nahezu ungehindert. Genau wie der heimische Marienkäfer hat er, einmal ausgewachsen, keine natürlichen Feinde. Das Rot oder Gelb seines Flügelpanzers signalisiert Vögeln und Insekten: Liegen lassen, schmeckt nicht.
Marienkäferlarven gehören zwar zur Leibspeise von Parasiten, an die des asiatischen trauen sie sich aber aus Gewohnheit nicht ran. Außerdem sind schon die Larven vom Harlekin denen der heimischen Arten überlegen. "Sie sind größer, fressen schneller und im Zweifel sogar die Eier und Larven des heimischen Marienkäfers", sagt Insektenexperte Heiermann.
Der Stärkere gewinnt
Viele Nachkommen, gefräßige Larven und kaum natürliche Feinde: Einmal angesiedelt, verbreitet sich der asiatische Marienkäfer rasant. In den USA wurde er schon vor vielen Jahrzehnten eingeführt, mit dramatischen Folgen. "Dreißig bis fünfzig der dort ansässigen Marienkäferarten sind in einigen Gebieten komplett verschwunden", sagt Magnus Wessel, Referent für Natur- und Artenschutz beim Nabu.
Die mitteleuropäischen Arten seien zwar noch nicht bedroht, doch vielerorts gibt es den Harlekin inzwischen häufiger als etwa den Siebenpunkt. "Aufhalten lässt sich das nicht, aber wir hoffen, dass sich der Harlekin ins Ökosystem integriert", sagt Heiermann.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Käfer auf unserem Finger zu den asiatischen gehört, ist jedenfalls hoch. Bleibt die Frage: Taugt der auch als Glücksbringer?
Mutter Maria hat ihn ganz sicher nicht geschickt, aber wer den Harlekin voreilig als fiesen Eindringling verurteilt, der möge bedenken: Bei all seinen Nachteilen vertilgt er fünfmal mehr Schädlinge als die heimischen Arten. Bringt also möglicherweise fünfmal mehr Glück. Deshalb: Augen zu und weggepustet. Es muss ein Wein- oder Obstbauer sein, der das als billigen Aberglauben abtut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“