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■ Intuition allein reicht nichtIm Halbschlaf

Als vor einiger Zeit die deutsche Fassung des Romanerstlings von Laurence Norfolk, Lemprieres Wörterbuch, erschien – an deren niederländischer Übersetzung ich zur Zeit arbeite –, verursachte sie einiges Aufsehen: Elf deutsche ÜbersetzerInnen schlossen sich zusammen, um sie in Grund und Boden zu verdammen. Begründung: Sie genüge nicht einmal den bescheidensten Qualitätsansprüchen. Als mein Verleger mir die deutschen Presseausschnitte zeigte, war ich nicht recht sicher, was ich von der Sache halten sollte. Weshalb waren die KritikerInnen der Übersetzung so ergrimmt?

Als ich jedoch mit meiner Arbeit begann und die deutsche Übersetzung zum Nachschlagen und Vergleichen heranzog (die Fußnoten waren besonders nützlich), verstand ich erst, was sie meinten. Der deutsche Übersetzer hat offensichtlich noch nie etwas von idiomatischen Ausdrücken gehört, denn er bringt es fertig, jeden einzelnen dieser Ausdrücke wortwörtlich zu übertragen. Ein Beispiel: „L. was shaken and tongue-tied“, so heißt es im Original. In der deutschen Übertragung wird daraus:

„L. war erschüttert, die Zunge wie festgebunden.“

Ich fürchte, die deutschen Kollegen hatten durchaus recht, als sie sich Sorgen um die Zukunft ihres Berufs machten. Denn wie läßt sich erklären, daß die Rezensenten die Übersetzung trotz der gravierenden Fehler mit positiven Kritiken überhäuft haben? Kennt sich denn niemand mehr in der eigenen Sprache aus? Ist das Englische schon so dominant geworden? Hat sich der Übersetzer vom Englischen lähmen lassen? Hatte er vorher keine Romane übersetzt? Warum hat man ihm dann diesen schwierigen Roman anvertraut?

Der Roman, um den es geht, wimmelt von komplizierten Satzgebilden, von denen sich einige über ganze Seiten erstrecken. Für jeden von ihnen eine elegante Lösung zu finden ist mühsam. Wie findet man zu solchen Lösungen? Manchmal erst nach Stunden emsigen Suchens, manchmal im nächtlichen Halbschlaf oder bei der Lektüre eines anderes Buches. Auf jeden Fall reicht Intuition allein nicht aus, die Anstrengung des Geistes kommt hinzu. Mieke Lindenburg

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