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Interview"Gotische Kirchen haben wir genug"

Mechtild Rössler von der Unesco erklärt, welche Bedingungen Kulturstätten erfüllen müssen, um Welterbe zu werden. Offenbar haben der Jüdische Friedhof und die Reformsiedlungen gute Chancen: Für sie gibt es wenig Konkurrenz.

taz: Frau Rössler, warum ist es eigentlich erstrebenswert, zum Weltkulturerbe zu gehören?

Mechtild Rössler: Es gibt internationale Anerkennung. Dadurch können die Stätten zu Motoren für den Tourismus und die Wirtschaft werden.

Gibt es dann auch Geld?

Projekte in Entwicklungsländern oder in Konfliktzonen bekommen Geld von der Unesco, Projekte in reichen Staaten wie Deutschland nicht. Dort zahlen der Staat oder Privatiers.

Welches Interesse hat die Unesco an der Aufnahme von neuen Stätten?

Wir haben die Aufgabe, das außergewöhnliche Erbe der Welt zu schützen.

Wie läuft das Bewerbungsverfahren ab?

Die Regierung muss ein Nominierungsdossier mit Fotos und Karten einreichen, in dem der außergewöhnliche universelle Wert begründet wird. Das wird von zwei NGOs ausgewertet; sie legen dem Welterbekomitee einen Bericht vor. Ein Staat konnte bislang pro Jahr ein Kultur- und ein Naturobjekt vorschlagen. In Deutschland muss die Initiative von den Ländern ausgehen.

Wie lange dauert das Bewerbungsverfahren?

Von der Bewerbung bei uns bis zur Entscheidung: eineinhalb Jahre. Wie lange die Vorbereitung auf nationaler Ebene dauert, hängt stark von dem Projekt ab. Das kann sehr schnell gehen, aber 10 bis 20 Jahre dauern, wie etwa beim Wattenmeer.

MECHTILD RÖSSLER (48) leitet die Abteilung Europa und Nordamerika am Unesco-Welterbezentrum in Paris. Sie betreut 422 Stätten in 50 Staaten.

Wie viele Bewerbungen haben Sie im Jahr?

Etwa 80 Bewerbungen kommen rein, davon erfüllen rund 45 die formalen Anforderungen. Etwa 20 davon werden aufgenommen.

Nach welchen Kriterien wird entschieden?

Die Stätte muss herausragenden universellen Wert nachweisen; man muss begründen, warum das Objekt von außergewöhnlichem universellem Wert ist. Dafür gibt es zehn verschiedene Kriterien, etwa ein einzigartiges Zeugnis einer kulturellen Tradition zu bergen oder ein Naturgebiet von herausragender Schönheit.

Wie schwer hat es da ein jüdischer Friedhof?

Man müsste in dem Dossier darstellen, was diesen Friedhof so einzigartig macht. Stätten mit symbolischer Bedeutung sind bislang nur sehr wenige in die Liste aufgenommen worden, da ist das Komitee vorsichtig. Für den Holocaust gibt es bislang nur eine Gedenkstätte: Auschwitz-Birkenau. Bei solchen Themen achtet das Entscheidungsgremium sehr darauf, eine inflationäre Wirkung zu vermeiden.

Das klingt so, als ob der Jüdische Friedhof Weißensee keine Chance hat?

Das möchte ich nicht sagen. Es ist ja so, dass Objekte der christlichen Kultur auf der Welterbeliste sehr stark repräsentiert sind und andere Traditionen nicht oder kaum, wie die jüdische. Wir empfehlen aber unbedingt, eine vergleichende Studie zu machen.

Derzeit stehen mehr als 850 Stätten auf der Welterbeliste. Das wirkt ziemlich beliebig.

Uns ist wichtig, thematisch neue Projekte aufzunehmen. Deswegen sind die Berliner Siedlungen der 20er-Jahre interessant: Das moderne Erbe ist noch unterrepräsentiert. Hingegen haben wir bereits 19 gotische Kathedralen auf der Liste. Da macht es keinen Sinn, noch eine aufzunehmen.

Was erwarten Sie von den Stätten, die Sie in die Liste aufnehmen?

Sie müssen mit uns zusammenarbeiten und sich als außergewöhnliche Stätte präsentieren. Sie müssen auf einen Touristenansturm vorbereitet sein und damit umgehen können. Und wir erwarten, dass die Stätten in dem Land geschützt werden, also beispielsweise ein historisches Gebäude nicht abgerissen und die Umwelt geschützt wird.

Und wenn das nicht eingehalten wird?

Wir fahren vor Ort und versuchen, die Probleme zu lösen. Es gibt auch eine Rote Liste der gefährdeten Stätten. Wenn alles nichts bringt, verliert die Welterbestätte ihren Status, wie jetzt beim Arabian Oryx Sanctuary in Oman geschehen.

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