Interview: "Der Fado reinigt die Seele"
Ein Gespräch mit Marisa dos Reis Nunes, der "Königin des Fado", über den Prunk des Oman, die Krise in Portugal, Billie Holiday und Berlin.
Mariza, Sie haben Fado "den HipHop des 19. Jahrhunderts" genannt, die populäre Poesie der Armen und Ausgestoßenen. Erst im 20. Jahrhundert haben auch die reicheren Leute den Fado entdeckt.
Sie wurden aufmerksam, sagen wir es so. Das Wunderbare am Fado ist die Tiefe der Gefühle. Musik ist für mich auch eine Art von Religion. Im Moment zum Beispiel bin ich in Oman: Wir haben völlig verschiedene Vorstellungen von Politik, völlig andere Gesellschaftsformen, aber beim Konzert sind wir eins - mit der Musik. Und dann gibt es keine Unterschiede mehr zwischen uns.
Das Royal Opera House in Oman ist das einzige Opernhaus der Golfstaaten.
Marisa dos Reis Nunes, geboren 1973 in Mosambik, sang ihre ersten Fado-Lieder als Fünfjährige in der Taverne ihrer Eltern in Lissabon. Ihr portugiesischer Vater riet ihr, sich auf den Fado statt auf Jazz, Soul und Gospel zu konzentrieren. Sie erhielt mehrmals den BBC Award "Best European Artist" im Bereich World Music. Sie lebt mit ihrem Sohn in Lissabon. In Berlin ist sie mit ihrem neuen Programm am 12. und 13. Oktober im Haus der Kulturen der Welt.
Dieses Haus ist so schön! Unglaublich! So was habe ich noch nie gesehen … überall Rot, Gold, Marmor. Bildschirme in den Stühlen für die Texte! Es ist, als würde man in ein Buch hineinlaufen.
In ein Buch?
Meine Mutter hat mir früher immer Märchen vorgelesen. Ich liebe Märchen. In Portugal bin ich die Botschafterin von Hans Christian Andersen.
Portugal geht es nicht so gut wie Oman. Vergessen Sie die wirtschaftliche Misere, wenn Sie auf die Bühne gehen?
Nein. Für mich ist Musik wie ein Lichtschalter, der Menschen wieder aufmerksam macht für das Leben und die Gesellschaft. Ich möchte die Leute stärken. Trösten. Der Fado reinigt die Seele. Im Moment sind wir sehr traurig über die ökonomische Seite unseres Lebens. Wir neigen dazu, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind - mit Melancholie. Wir glauben aber auch, dass wir stärker werden können durch das Leid. Jetzt müssen wir lernen aus unseren Fehlern und eine bessere Gesellschaft aufbauen. Wir brauchen diese enorme Ungleichheit nicht.
In einem Ihrer bekanntesten Fados, "Transparente", erzählen Sie von Ihrer Großmutter.
Meine Großmutter war schwarz. Afrikanerin. Ein Freund hat diesen Text für mich geschrieben. Er wusste damals gar nicht, dass meine Großmutter schwarz war. Jahre später habe ich mich an dieses Gedicht erinnert, und dann war plötzlich auch die Musik da, aus Mosambik, dem Land, in dem ich geboren bin.
Mosambik war ja eine portugiesische Kolonie. Sie selbst mögen es gar nicht, wenn Sie "Königin des Fado" genannt werden.
Und dieses Wort "Diva" - das mag ich schon überhaupt nicht.
Wie wäre es mit einem Märchentitel? "Mariza, die Leopardin des Fado"?
Wow. Ich? Warum?
Ihre Bühnenpräsenz. Leoparden haben eine eigene Majestät.
Ja. Ich sage nicht, dass das nicht stimmt … Aber ich habe früher nicht im Traum daran gedacht, dass ich einmal Welttourneen machen würde, dass so viele Menschen meine Musik verstehen wollen. Ich war glücklich in meinem kleinen Lisboa! Selbst heute ist mir das alles manchmal unheimlich. Ich bin doch noch der gleiche Mensch! Ich gehe auf den Markt, ich spiel mit meinem Sohn, ich geh einkaufen …
In Ihrer Version von "Cry me a river" klingen Sie wie eine Leopardin an der Jazz-Leine.
Danke! Es gibt Jazzsongs, da denke ich: Das sind eigentlich Fados, das könnte ich singen. "Smile", "Summertime"…
"Strange Fruit"?
Billie Holiday! Ich habe noch nie etwas von ihr gesungen. Ich liebe sie so sehr! Für mich ist sie ein Chamäleon. Sie kam auf die Bühne, und plötzlich hatte sie eine ganz andere Stimme, eine völlig andere Musik. Sie war so gut!
Sie hatte ein tragisches Leben.
Na ja, alle großen Sängerinnen, alle Diven hatten ein tragisches Leben.
Und Sie?
Oh, mein Leben ist ein Geschenk! Ich bin ein Mensch, der gern Spaß hat.
Glauben Sie an Gott?
Ich bin sehr, sehr katholisch. Gott ist mein Kopilot.
Kirchenmänner würden sagen: Was? Gott ist der Pilot?
Nein. Mein Flugzeug, das fliege ich schon selbst. Aber ich brauche Hilfe dabei. Ich spreche jeden Morgen und jeden Abend mit Gott. Wir brauchen alle etwas, an das wir glauben können. Auch Atheisten glauben an etwas. Wenn man an gar nichts glaubt, dann ist man wirklich - komplett allein.
Sie nennen Lissabon, Ihre Heimatstadt, eine Frau.
Lissabon ist wie eine Schachtel, in der gibt es noch eine Schachtel und dann noch eine und noch eine - und man kommt nie ans Ende. Es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken. Wie bei uns Frauen.
Berlin hat ganz viele Kiezschachteln - nebeneinander.
Berlin ist für mich ein bisschen wie Jazz. Ich hab früher gedacht, in Berlin leben nur Deutsche. Aber bei euch lebt die ganze Welt! Und ich entdecke in Berlin immer wieder Kunst, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Echte Außenseiter. Fantastisch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!