■ Interview zur Relevanz der deutsch-amerikanischen Achse: „Alles, was Deutsche tun, schlägt Wellen“
Über vier Millionen Arbeitslose, ein wachsendes Haushaltsdefizit, Neonazis, Rezession, Konfusion und Konflikte um Bundeswehr und Außenpolitik – das sind die Schlagworte, ist in der US-Presse von Deutschland die Rede. Ganz andere Töne sind da von Daniel Hamilton zu vernehmen, ehemals Vizedirektor des Aspen-Instituts in Berlin. „Beyond Bonn: America and the Berlin Republic“ heißt die Studie, die Hamilton im Auftrag der „Carnegie Endowment for International Peace“ und unter Mitarbeit zahlreicher Regierungsbeamter der Clinton-Administration verfaßte. Zentrale These: Das bilaterale Verhältnis zwischen der verbliebenen Supermacht USA und dem vereinigten Deutschland ist entscheidender Antriebsmotor für die transatlantischen Beziehungen. Der „Berliner Republik“ wird darin klar die Rolle der europäischen Regionalmacht zugeordnet. Daniel Hamilton ist inzwischen in leitender Position an der US-Botschaft in Bonn.
taz: Wofür steht denn, in knappen Worten, diese Berliner Republik, von der Sie sprechen?
Daniel Hamilton: Es ist die beste Chance in der deutschen Geschichte, ein friedliches, vereintes und demokratisches Deutschland zu schaffen. Das hat es nie gegeben. Ich benutze diesen Begriff mit Zuversicht, nicht mit Bedauern. Er signalisiert etwas Positives. Er signalisiert auch ein neues Denken über dieses Land.
Nun ist in den letzten Jahren auch in der US-Presse weitaus skeptischer über die Folgen dieses Einigungsprozesses berichtet worden – vor allem aufgrund des wachsenden Rechtsradikalismus und der Wirtschaftsrezession. Statt von einer neuen Berliner Republik zu reden, zog man häufiger den Vergleich zur Weimarer ...
Diese Analogie verzerrt natürlich völlig die Realität. Das Problem der Weimarer Republik bestand darin, eine Demokratie ohne Demokraten gewesen zu sein. Die Berliner Republik ist fundamental demokratisch. Was den Bestand dieser Demokratie angeht, so ist man in den USA höchst zuversichtlich. Die Berliner Republik hat zudem die bislang einmalige Chance, von anderen wohlhabenden Demokratien umgeben zu sein. Die geopolitische Lage, in der Mitte zwischen Ost und West zu liegen, kann also überwunden werden, wenn gemeinsam die richtige Politik betrieben wird. Deutschland ist die gewichtigste Nation in Europa – ob den Deutschen das nun paßt oder nicht. Und Deutschland schlägt Wellen in der Welt durch das, was es tut – und durch das, was es nicht tut. Nur mag das den Deutschen noch nicht so bewußt sein. Nun ist Deutschland eingebettet in eine ganze Reihe von multinationalen Institutionen. Das ist gut so und soll weiter vorangetrieben werden. Doch die Frage ist: Wer soll für entscheidende Vorhaben den Antriebsmotor bilden – wenn nicht die amerikanisch- deutschen Beziehungen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine amerikanisch-britische Initiative zur Koordination der Rußlandhilfe oder eine amerikanisch-französische Initiative zur Umweltpolitik irgend etwas voranbringen würde.
Wie sieht der Beobachter aus Amerika das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen?
Mein Eindruck ist, daß sich die Menschen zunehmend Identität und Bezugspunkte in ihren jeweiligen Bundesländern suchen. In Sachsen ist das zum Beispiel deutlich zu sehen. Das dürfte auf lange Sicht dazu beitragen, daß Ost- West-Gegensätze durch ein Nord- Süd-Gefälle überlagert werden. Mecklenburg-Vorpommern wird mehr Gemeinsamkeiten mit Schleswig-Holstein feststellen, während zum Beispiel die wirtschaftlichen Optionen für Sachsen eher mit Baden-Württemberg oder Bayern zu vergleichen sind.
Das klingt fast, als ob die Regionalisierung der Identität nach Ihrer Ansicht nicht nur den „Ossi- Wessi“-Konflikt abkühlt, sondern womöglich auch das höchst umstrittene Thema der nationalen Identität ad acta legen könne.
Das Thema der nationalen Identität wird nie zu den Akten gelegt. Darüber werden die Deutschen immer reden. Aber diese Diskussion wird natürlich auch in Deutschland durch die Internationalisierung des Alltags beeinflußt. Deren Auswirkungen sind überall zu spüren – auch in den Gemeinden und Kommunen. Deswegen muß auch Außenpolitik heute viel weiter konzipiert werden. Außenpolitik ist heute Einwanderungspolitik, Drogenbekämpfung, Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Hiermit müssen Behörden der Länder oder Stadtverwaltungen fertig werden, die in diesen Feldern oft kompetenter sind als die nationalen Regierungen. Wenn sich heute Vertreter eines deutschen Bundeslandes über die Immigrationspolitik der USA informieren wollen, dann fahren sie nicht nach Washington, sondern nach Kalifornien. Wenn Berliner Behörden mit amerikanischen Partnern Maßnahmen zur Drogenbekämpfung absprechen wollen, dann fahren sie nach Miami. In dieser Regionalisierung liegt eine ganz neue Agenda der Außenpolitik, das, was ich in der Studie als „regionale Nebenaußenpolitik“ bezeichne.
Sie fordern, daß das vereinigte Deutschland nun, nach Ende des Kalten Krieges, vom „Importeur“ zu einem „Exporteur“ von Sicherheit werden, also die Bundeswehr von ihrer „verfassungsrechtlichen Zwangsjacke“ befreien und „out of area“ einsetzen solle. Innerhalb der deutschen Linken gibt es zum Teil heftigen Widerstand gegen diese Position ...
Die Diskussion über die neue sicherheitspolitische Rolle innerhalb der deutschen Linken ist sicher eine der interessantesten Entwicklungen. Hinter dem Widerstand vieler Linker gegen eine außen- und sicherheitspolitisch aktivere Rolle Deutschlands steckt meiner Ansicht nach auch dieses Mißtrauen der Deutschen sich selbst gegenüber. Mir ist natürlich klar, daß diese Selbstzweifel eine Folge der Auseinandersetzung mit dem Faschismus sind. Aber dann müssen sich die Deutschen doch fragen, was die richtige Konsequenz aus der Geschichte ist: Sich herauszuhalten, wenn andere Aggressoren Menschen ermorden? Natürlich ist die Frage, wann eine Intervention „gerecht“ ist, jedesmal Gegenstand einer neuen Diskussion. Und da kann es zwischen den USA und Deutschland zu sehr fruchtbaren Debatten kommen.
Sie schreiben in Ihrer Studie unter anderem: „Das Problem Deutschlands ist nicht, daß es Feinde hat, sondern zu viele bedürftige Freunde“. Was heißt das?
Die Westeuropäer hoffen immer noch, daß die Deutschen die Vertiefung der EU vorantreiben – und schauen recht besorgt drein, wenn der Euro-Enthusiasmus in der Bundesrepublik Deutschland nachläßt. Die USA erwarten von der Bundesrepublik einen Partner, der nicht nur im multilateralen Kontext Europas etwas bewegen kann, sondern auch globale Verantwortung übernimmt – nicht nur im engen sicherheitspolitischen Rahmen, sondern auch in Währungs -und Handelsfragen oder in der Umweltpolitik. Die USA und Deutschland zählen zu den größten Umweltverschmutzern, aber auch zu den wichtigsten Umweltschützern. Entweder treiben sie die multilaterale Agenda in Sachen Umweltpolitik voran – oder sie wird überhaupt nicht vorangetrieben. Die Russen wünschen und haben mit Deutschland eine besondere Beziehung und hoffen auf weitere wirtschaftliche Unterstützung. Ebenso die osteuropäischen Nationen. Das sind enorme Ansprüche an ein Land, das durch die Vereinigung massive innenpolitische Probleme hat. Interview: Andrea Böhm
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