Interview zum Sparpaket: "Konservative machen leichter Schulden"

Seit über 40 Jahren hat jede Regierung den Schuldenberg erhöht. Wolfgang Streeck vom Max-Planck-Institut über falsche Sicherheit, Luftbuchungen und warum Linke eher sparen.

Schöner wohnen mit Staatsschulden? Die Mittelschicht profitiere jedenfalls vom Schuldenmachen der Regierung, sagt Wolfgang Streeck. Bild: dpa

taz: Herr Streeck, am Mittwoch beschließt das Bundeskabinett sein Sparpaket, die G-20-Staaten wollen bis 2020 ihre Defizite halbieren. Ist die Schuldenkrise ausgestanden?

Wolfgang Streeck: Wer die jährliche Kreditaufnahme halbiert, macht ja immer noch Schulden. Und in der Vergangenheit haben sich die Regierungen oft genug nicht an ihre eigenen Gipfelbeschlüsse gehalten.

Sie glauben also nicht daran?

Wir stehen vor einer neuen Situation, zu der es völlig konträre Theorien gibt. Die einen sagen, die Konsolidierung der Staatshaushalte erhöht die Zuversicht der Investoren und fördert so das Wachstum. Die anderen glauben, sie schwächt die Nachfrage und führt dadurch zu wirtschaftlicher Stagnation.

Wozu tendieren Sie?

Keiner kann das entscheiden. Man muss verstehen, in welcher Lage die Politiker sind. Sie laufen durch eine Nebelsuppe und halten sich an irgendwelchen Gegenständen fest, die sie in Umrissen zu erkennen glauben.

Das klingt frustrierend.

Politiker sind nicht dazu da, glücklich zu sein.

Aber nach welchen Kriterien sollen sie entscheiden?

Sehr viel hängt von den Wachstumsraten ab. Wenn es starkes Wirtschaftswachstum gibt, dann sinkt die Verschuldungsrate im Verhältnis zum Sozialprodukt von selbst. Aber dass es das heute noch im erforderlichen Ausmaß geben kann, muss bezweifelt werden. Die Wachstumsraten der letzten zehn Jahre würden jedenfalls nicht reichen. Neuerdings gibt es übrigens die Theorie, dass bei einer Gesamtverschuldung von mehr als 90 Prozent des Sozialprodukts ein Land sowieso nicht mehr aus seinen Schulden herauswachsen kann.

Davon sind wir in Deutschland nicht mehr weit entfernt.

Das stimmt. Allerdings weiß keiner, wo die Ökonomen diese 90 Prozent herhaben. Das sind Rechnereien, an die man glauben kann oder auch nicht.

Sie selbst halten das Schuldenproblem für kaum noch lösbar?

Ich bin kein Ökonom, ich wende nur gesunden historischen Menschenverstand an. Als in den dreißiger Jahren das keynesianische Modell der kreditfinanzierten Konjunkturpolitik erstmals ausprobiert wurde, waren die Staatsanteile an den Volkswirtschaften noch minimal im Vergleich zu heute, und viele Staaten hatten praktisch keine Schulden. Trotzdem hat der New Deal in den USA wenig gebracht, bis der Zweite Weltkrieg anfing und die Kriegskonjunktur begann.

Und heute?

Seit Ende der sechziger Jahre haben sich fast alle Staaten der westlichen Hemisphäre höher verschuldet - bei hohem Wirtschaftswachstum, bei niedrigem, unter konservativen Regierungen, unter linken Regierungen. Ausgerechnet heute soll das nun aufhören, wo schon die Zinszahlungen ein knappes Fünftel des Steueraufkommens auffressen? Da muss ich doch erhebliche Zweifel haben.

Ein deutscher Politiker würde sagen: Wir haben die Schuldenbremse, wir sind verfassungsrechtlich dazu gezwungen.

Ich bin gespannt, wie das gehen soll. Die Schuldenbremse bindet ja das Parlament nicht wirklich. Es gibt kein Gericht, das die Abgeordneten wegen Missachtung der Schuldenbremse einsperren könnte. Wenn sich die Regierung an die Vorgaben der Verfassung halten wollte, müsste sie bis 2016 jedes Jahr von Neuem 10 Milliarden Euro aus dem Haushalt heraushauen. So etwas hat es noch nie gegeben.

Die Regierung kommt im Sparpaket auf 11 Milliarden Euro im ersten und weitere 8 Milliarden im zweiten Jahr.

Darin sind aber Luftbuchungen enthalten wie die Bankensteuer, die es nicht geben wird. Wie die Flugticketsteuer, bei der ich das ebenfalls stark bezweifle. Auch sonst arbeitet die Regierung mit Zahlentricks. Sie rechnet die bereits erfolgten Einsparungen im Folgejahr einfach noch mal mit. Es geht aber um Geld, das jedes Jahr zusätzlich aufzubringen ist. Dann kommt man auf viel größere Summen, als sie in diesem Paketchen vorgesehen sind.

Die Koalition sagt, bürgerlich-liberal bedeute solide Finanzen.

Die empirischen Befunde belegen eher das Gegenteil: Konservative Regierungen tun sich mit Schulden leichter. Ihre Wähler haben nicht prinzipiell etwas gegen das Schuldenmachen, weil und solange es ihnen ermöglicht, ihr Geld sicher in Staatsanleihen anzulegen. Wenn der Staat mehr ausgibt, als er einnimmt, hat er im Prinzip zwei Möglichkeiten. Entweder er erhöht die Steuern für die Mittelschicht, denn nur dort kann er wirklich etwas holen; dann ist das Geld der Bürger konfisziert …

Und die andere Möglichkeit?

… oder er verschuldet sich und zahlt Zinsen; dann behält der Bürger sein Vermögen, bekommt dafür Zinsen und kann es vererben. Das Defizit des Staates darf allerdings nicht so hoch werden, dass Zweifel daran aufkommen, dass er seine Schulden zurückzahlen kann.

Bei linken Regierungen soll das anders sein?

Linke Parteien wollen einen aktiven Staat. Sie wollen verschuldete Haushalte durch Einsparungen konsolidieren, um dann wieder mehr auszugeben. Das Problem ist, dass das kein Wähler versteht. Das war das Problem von Gerhard Schröder und anfangs von Bill Clinton.

Gibt es Beispiele für Regierungen, die mit Haushaltskonsolidierung Wahlen gewonnen haben?

Nicht dass ich wüsste. Nicht einmal in Schweden. Dort haben die Sozialdemokraten nach der Finanzkrise der neunziger Jahre eine harte Konsolidierung in die Wege geleitet. Mit dem Ergebnis, dass die Konservativen an die Macht kamen.

Also können Sie es auch der deutschen Regierung nicht empfehlen?

Ich muss die nicht beraten, das machen die schon selber. Schauen Sie doch mal auf die Termine. Der Endzustand der Schuldenbremse soll 2016 erreicht sein, die nächste Bundestagswahl ist aber 2013. Wenn die Regierung die Vorgaben der Verfassung erfüllt, wie sie es angeblich vorhat, dann steht sie bei der Wahl mit leeren Händen da. Erreicht hat sie noch nichts, trotz drei Jahren Schweiß, Blut und Tränen. Das kann ziemlich haarig werden.

Die vorige Wahl fiel in die Zeit nach der Finanzkrise; trotzdem wurde Merkel wiedergewählt.

Damals waren ja auch alle ganz besoffen von dem vielen Geld, das durch die Konjunkturprogramme zur Verfügung stand. Union und SPD waren heilfroh, dass sie wieder etwas für ihre jeweilige Klientel tun konnten.

Wäre denn eine Regulierung der Finanzmärkte populär?

In Bezug auf die Staatsfinanzen wäre sie möglicherweise sogar kontraproduktiv. Die Deregulierung der Finanzmärkte hat das Zinsniveau gesenkt und damit den Fortgang der Staatsverschuldung gefördert. Wenn die Staaten jetzt durch Regulierung das Kapitalangebot verknappen und dadurch die Zinsen steigen, sind sie selbst die Leidtragenden. Dann können Sie wegen der zusätzliche Ausgaben für den Schuldendienst jede Konsolidierung endgültig vergessen.

Gibt es überhaupt noch Felder, auf denen der Schuldenstaat gestalten kann?

Nicht viele. Wir untersuchen gerade im internationalen Vergleich, wie sich Zukunftsinvestitionen in den letzten drei Jahrzehnten unter fiskalischem Stress entwickelt haben. Die skandinavischen Länder geben für Bildung und Forschung, Familie und Integration, auch für aktive Arbeitsmarktpolitik viel mehr Geld aus als wir. Gleichzeitig sind es die einzigen Länder, die im fraglichen Zeitraum Haushaltsüberschüsse hatten.

Die Koalition beteuert, dass sie trotz Verschuldung die Bildungsausgaben steigern will.

Was sollte sie auch anderes sagen? Ob es stimmt, lässt sich im deutschen Föderalismus nicht leicht feststellen. Die statistischen Definitionen und die Zuständigkeiten ändern sich ständig. Da müssen Sie schon sehr tief in die Zahlen hineinschauen, um irgendetwas zu erkennen.

Hat es Skandinavien wegen der hohen Steuern leichter?

Die Schweden haben ihre Haushaltsüberschüsse in Fonds investiert, aus denen sie einen Teil ihrer Renten bezahlen. Vor zwanzig Jahren hätten wir so etwas vielleicht auch anfangen können. Heute ist es dafür zu spät. Der demografische Wandel ist zu weit fortgeschritten und die Gesamtverschuldung inzwischen zu hoch. Allerdings haben die Skandinavier im letzten Jahrzehnt ihr Steuerniveau stark gesenkt, ich vermute unter dem Druck der "Globalisierung".

Das heißt, die Politik kann eigentlich nichts mehr machen?

Die Leute wollen immer gleich hören, wie es werden wird und was man machen muss. Aber es kann doch sein, dass wir das in unserer Situation gar nicht wissen können. Dann sollten wir auch nicht so tun. Diese Delphischen Orakel der Ökonomen, diese falschen Sicherheiten sind dem Leben in einer hochkomplexen Zivilisation nicht angemessen. Die Politik operiert in einer Hochrisikosituation, die sie nicht wirklich durchschaut. Wenn wir uns das klarmachen, wäre das schon ein Fortschritt.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN

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