piwik no script img

■ Interview zu innerkroatischer Kritik an Präsident Tudjman„Tudjman muß abtreten“

Der letzte Präsident Gesamtjugoslawiens und heutige Präsident des kroatischen Unterhauses, Stipe Mesić (60), sowie der Präsident des kroatischen Oberhauses, Josip Manolić (74), im Gespräch.

taz: Herr Manolić, Herr Mesić, Sie als Gründungsmitglieder der jetzigen kroatischen Regierungspartei, der „Kroatisch Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ), wollen eine neue Partei gründen. Warum?

Josip Manolić: Wir können nicht mehr in einer Partei mitarbeiten, die die Politik des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman gutheißt. Seit einem Jahr verfolgen wir mit Sorge die Fehler dieses Präsidenten. Ausschlaggebend für unseren Schritt sind die Differenzen in bezug auf die Politik in Bosnien- Herzegowina, die auch heute wieder so traurige Schlagzeilen macht, ist aber auch die Sorge über die Entwicklung der Demokratie in unserem Land.

Was hat Tudjman in Bosnien falsch gemacht?

Josip Manolić: Wir beide waren von Beginn an für ein einheitliches Bosnien-Herzegowina in seinen anerkannten Grenzen. Die drei konstituierenden Völker sollten darin gleichberechtigt sein. Tudjman hingegen hat sich schon vor dem Krieg mit dem serbischen Präsidenten Milošević geeinigt, Bosnien-Herzegowina zwischen Serbien und Kroatien aufzuteilen. Weder Milošević noch Tudjman hatten jedoch damit gerechnet, daß die Muslime einen derart starken Widerstand gegen diesen Plan entwickeln würden. Als die Teilungspläne fehlschlugen, hat der kroatische Präsident in Übereinstimmung mit der Lobby der kroatischen Westherzegowina vor mehr als einem Jahr beschlossen, Krieg gegen die Muslime zu beginnen. Dies war für die kroatische Politik ein zerstörerischer Akt.

Stipe Mesić: Der Krieg in Bosnien stellt wahrlich eine absurde Situation dar, die ohne Vergleich in der Geschichte ist. Denn Kroatien bekämpfte den einzigen Verbündeten, die bosnischen Muslime, obwohl wir nach wie vor unserem Hauptgegner unterlegen sind. Mit dem Abkommen in Washington, das wir sehr begrüßen, sind die Koordinaten der Politik glücklicherweise wieder verändert. Was mich besonders freut, ist, daß die Versöhnung relativ reibungslos verläuft. Dieser Umstand zeigt zugleich, daß der Haß zwischen beiden Völkern künstlich geschaffen wurde. Es hätte niemals zum Krieg zwischen beiden kommen dürfen.

Wie erklären Sie sich Tudjmans Umschwung?

Stipe Mesić: Wir wissen nicht, ob Tudjman seine persönliche Position verändert hat. Denn Tatsache ist, daß auch nach dem Washingtoner Abkommen in Herceg- Bosna alle bisherigen Machthaber geblieben sind, alle jene also, die Bosnien teilen wollten, den Krieg betrieben und die jetzt, trotz der vereinbarten Föderation, nur an einem Aufbau des Staates Herceg- Bosna interessiert sind.

Josip Manolić: Dies berührt schon den zweiten Grund für unsere jetzige Abgrenzung von Tudjman. Wir wollen, daß Kroatien sich in einen Rechtsstaat verwandelt, daß also die Menschenrechte und demokratischen Freiheiten durchgesetzt werden. Die undemokratischen Praktiken waren auch in der Regierungspartei HDZ spürbar. Wir wollten ihre Demokratisierung.

Zeigen Sie mit der Gründung einer neuen Partei, daß Sie die Hoffnung auf eine Reformierbarkeit der HDZ aufgegeben haben?

Josip Manolić: Nicht nur das. Eine neue Partei stärkt die demokratische Opposition in Kroatien. Eine starke Opposition könnte die Demokratisierung der Institutionen durchsetzen. Dies ist der erste Schritt. Der zweite Schritt wäre, den Präsidenten an seiner falschen Politik zu hindern.

Wird es Ihnen gelingen, so viele Parlamentarier der HDZ zu sich rüberzuziehen, daß deren absolute Mehrheit im Parlament ins Wanken gerät?

Josip Manolić: Intensive Gespräche finden natürlich diesbezüglich statt. Deshalb ist Tudjman nervös geworden, man versucht Druck auf uns auszuüben. Alle Abgeordneten der Regierungspartei sind aufgefordert, Loyalitätserklärungen gegenüber Tudjman abzugeben. Unsere Telefone werden überwacht, und die Polizeimaßnahmen erinnern an diejenigen gegenüber den Dissidenten in der kommunistischen Zeit.

Als wir damals die HDZ gründeten, war unser Ziel, die Einparteienherrschaft des alten Regimes zu brechen. In dieser Hinsicht gab es gar keine Unterschiede zwischen mir und Tudjman. Ich selbst war wie Tudjman Kommunist, wir wollten an die Tradition des kroatischen Frühlings von 1971 anknüpfen und ein demokratisches Kroatien schaffen. Doch Tudjman hat die alten Prinzipien der Führerschaft beibehalten, er trifft alle Entscheidungen autokratisch.

Tudjman hat immer noch genügend Rückhalt. Und er wird von dem mächtigen Clan der Herzegowiner gestützt.

Stipe Mesić: Diese Politiker aus der Westherzegowina sind nicht mächtig. Die Mehrheit in Kroatien und die gesamte Kirche haben gegen ihre Politik der Teilung Bosniens Stellung genommen. Gewisse Leute sind verantwortlich für die Errichtung von Konzentrationslagern. Indem die kroatischen Einheiten aus manchen Gebieten Zentralbosniens zurückgezogen wurden, wollte man einen Grund finden, die bosnische Armee zu beschuldigen, Kroaten zu vertreiben. Man hat das halbe Mostar zerstört. Und diese falsche Politik wurde durch Zagreb gedeckt.

Dies ist ein schwerwiegender Angriff auf Tudjman! Er müßte also zurücktreten.

Stipe Mesić: In der Tat muß er Konsequenzen ziehen.

Warum haben Sie nicht schon im letzten Jahr gehandelt? Vielleicht hätten Sie damals die Katastrophe noch verhindern können?

Josip Manolić: Wären wir damals bestimmter aufgetreten, wären wir ausgeschaltet worden. In Bosnien-Herzegowina wurden kroatische paramilitärische Formationen aufgestellt. Deren Verbrechen wurden durch den Verteidigungsminister Gojko Susak unterstützt. Und diese Leute hätten sich kaum einen Monat halten können, hätte Tudjman nicht diesen Kurs unterstützt.

Weiß denn die kroatische Öffentlichkeit über die kroatischen Verbrechen überhaupt Bescheid?

Stipe Mesić: Ich denke nicht. Es gibt die Blockade der Medien, das kroatische Fernsehen hat die schlimmste Rolle in diesem Krieg gespielt. Aber die Kriegsverbrecher werden verfolgt werden. Die Gerichte müssen sie verurteilen. Wir wissen, wer in Stupni Do, Ahmici und Prozor Muslime umgebracht hat. Manche Mörder haben ihre Namen geändert, andere Verantwortliche leben hier in Zagreb im Hotel Intercontinental unter dem Schutz des Ministers Susak (der bosnisch-kroatische Führer Mate Boban, E.R.)

Wird mit all dem das politische Grab Tudjmans geschaufelt?

Stipe Mesić: Es war allein seine Wahl, eine solche Politik zu betreiben. Man kann jedoch in diesem Zusammenhang die internationale Verantwortung nicht abtrennen, auch die internationale Gemeinschaft hat ihren Teil zum Krieg in Bosnien beigetragen. Es genügt eben nicht, die Opfer, bevor sie getötet werden, zu füttern. Auch Lord Owen hat mehr die Teilung Bosniens betrieben, als den Zusammenhalt des Staates zu garantieren. Serbien wurde ermutigt, mit der Aggression fortzufahren, und Kroatien wurde mit der Perspektive eines Gewinns von 27 Prozent des bosnischen Territoriums gelockt. Doch der Widerstand der bosnischen Muslime hat die internationale Küche durcheinandergebracht. Interview: Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen