Interview zu Nahost-Friedensverhandlungen: "Israel erwartet, das wir Engel sind"
Wenn es nicht bald einen Palästinenser-Staat gibt, werden die Extremisten auch in der Fatah ans Ruder kommen, so der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat.
taz: Herr Erekat, gehen die Friedensverhandlungen trotz der Angriffe Israels auf Gaza weiter?
Saeb Erekat: Nein, die Verhandlungen sind ausgesetzt. Israel muss verstehen, dass es den Friedensprozess beerdigt, wenn es weiter auf Aggression setzt. Die Großoperation im Gazastreifen war katastrophal für den Friedensprozess.
Gab es denn zuvor bei den Verhandlungen, die seit dem internationalen Treffen in Annapolis stattfinden, Fortschritte?
Die Verhandlungen liefen auf vier Gleisen. Erstens gab es die Verhandlungen um den endgültigen Status zwischen Palästinenserpräsident Machmud Abbas und Ex-Premierminister Achmad Kurei auf der einen, Israels Premier Ehud Olmert und Außenministerin Zippi Livni auf der anderen Seite. Dann gibt es das trilaterale "Roadmap"-Gleis unter der Führung von US-General Fraser, wo es um die Umsetzung der ersten Phase der "Roadmap" geht, inklusive des Ende des Siedlungsbaus. Das dritte Gleis ist das Wirtschaftsprogramm nach Paris, das vierte der Aufbau von Institutionen und interne Reformen. Aber Fortschritte gab es bisher nicht.
Warum nicht?
Die Israelis haben weder den Siedlungsbau eingestellt noch unsere Büros in Ost-Jerusalem geöffnet. Stattdessen haben sie ihre Militärinvasionen in Nablus und Gaza fortgesetzt.
Wo verläuft denn die rote Linie der Palästinenser hinsichtlich der israelischen Siedlungen in der Westbank?
Meine rote Linie ist genau das, was die "Roadmap" vorsieht: Jegliches Baugeschehen in den Siedlungen muss aufhören. Aber was können wir dafür tun? Wir haben weder Panzer noch Flugzeuge. Wir leben unter der Besatzung. Wir haben nicht die Macht, ein Ultimatum zu stellen. Ich frage Sie, was die Staaten zu unternehmen gedenken, die in Annapolis dabei waren, die USA, Deutschland, Frankreich... Herr Olmert war doch kürzlich in Deutschland. Was ist ihm dort gesagt worden zum Thema Siedlungsbau?
Haben die Friedensverhandlungen eine Chance, wenn die Gewalt zwischen Gaza und Israel weitergeht?
Nein. Die Gewalt muss auf beiden Seiten enden. Wir brauchen einen bilaterale Waffenstillstand. Und ich hoffe dabei auf Unterstützung der Ägypter.
Ist denn ein palästinensischer Staat ohne Gaza möglich?
Nein. Der Putsch in Gaza war das Schlimmste, was den Palästinensern seit 1967 passiert ist. Es wird aber keine militärische Lösung geben. Sondern eine politische. Wenn es einen Friedensvertrag mit Israel und wahre Unabhängigkeit gibt, dann wird die Hamas von der Bildfläche verschwinden. Wenn es uns aber nicht gelingt, noch in diesem Jahr ein Abkommen zu erreichen, dann werden wir, die moderaten Palästinenser, verschwinden. Dafür müssen einfach beide Seiten, Palästinenser und Israelis, ihren Verpflichtungen nachkommen.
Haben die Palästinenser denn ihr Pflichten erfüllt?
Unsere Aufgabe ist es, die Sicherheitstruppen zu reformieren und die Kontrolle zu zentralisieren, sprich: ein Gewehr in einer Hand. Nur so kann das Chaos beendet werden. Wir haben Hilfe von US-General Keith Dayton und EU-Polizisten, darunter Deutsche, und wir machen Fortschritte. Auch wenn wir unser Ziel noch nicht erreicht haben.
Palästinenserpräsident Machmud Abbas hat schon vor den israelischen Angriffen auf Gaza erklärt, dass im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen der gewaltsame Widerstand eine Option bleibt. Wird es bei der Fatah eine Grundsatzentscheidung dazu geben?
Unsere strategische Option ist heute Frieden und Verhandlungen. Das ist unser Weg.
Warum werden dann die Al-Aqsa-Truppen nicht aufgelöst?
Israel erwartet von uns, dass wir uns wie Engel verhalten, während sie den Siedlungsbau, die Straßenblockaden und die Besatzung fortsetzen. Unsere Option ist Frieden - heute. Wenn die Verhandlungen allerdings scheitern, dann werden die Moderaten verschwinden. An ihre Stelle werden diejenigen rücken, die den gewaltvollen Weg propagieren. Bei der Hamas wie bei der Fatach.
Sie erwarten, dass Israel Ihnen Waffen liefert, während Sie gleichzeitig die Drohung aufrechterhalten, eines Tages mit denselben Waffen anzugreifen?
Alles, was ich sage, ist, dass ich mir noch für meine Generation Frieden mit Israel wünsche. Doch je länger Israel den Siedlungsbau, die gezielten Hinrichtungen und das Morden von Kindern und Frauen in Gaza fortsetzt, desto größer ist die Gefahr, dass wir, die Moderaten, verschwinden und andere das Ruder übernehmen. Wenn es uns gelingt, bis Ende 2008 ein Abkommen zu erreichen und einen wirklich unabhängigen palästinensischen Staat, dann wird die Hamas verschwinden. Wenn nicht - dann werden wir verschwinden.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL
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