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■ Interview zu Bosnien nach dem Ultimatum der Nato„Strike, Sign and Lift“

George Kenney war Beamter des US-Außenministeriums und dort zuletzt zuständig für das ehemalige Jugoslawien. Im August 1992, noch unter der Bush-Administration kündigte er seinen Posten aus Protest gegen die passive Haltung der Bush-Regierung im eskalierenden Konflikt um Bosnien.

Kenney ist mittlerweile Berater der „Carnegie Endowment For International Peace“ und koordiniert in dieser Eigenschaft Foren und Konferenzen zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Er ist vor kurzem von einem mehrwöchigen Aufenthalt in Bosnien-Herzegowina und Kroatien zurückgekommen. Die taz sprach mit ihm in Washington.

taz: Die Nato hat zum wiederholten Mal mit Luftangriffen auf serbische Stellungen um Sarajevo gedroht – versehen mit einem Ultimatum. Ist das ein deja vu vergangener Drohgebärden ohne Folgen?

Kenney: Nein. Das ist eine völlig andere Situation.

Was wird Ihrer Meinung nach passieren, wenn die Serben ihre Artillerie nicht aus dem Umkreis von zwölf Meilen um Sarajevo abziehen?

Dann haben sie sich nach meiner Überzeugung das erste Mal verkalkuliert und werden das erste Mal vor Luftangriffen in Deckung gehen müssen. Diese Vorstellung ist mir, spontan und ehrlich gesagt, keineswegs unangenehm. Möglicherweise reicht dies alleine aus, um sie zum Rückzug zu bewegen. Die Belagerung von Sarajevo zu durchbrechen, ist natürlich nur ein erster, aber ein zentraler Schritt. Dann müssen die Alliierten, wenn nötig, die Drohung mit Luftangriffen auf die anderen belagerten Enklaven ausdehnen. Vor allem muß Serbien klar gemacht werden, daß keine weiteren Truppenverstärkungen in Bosnien geduldet werden. Und dann beginnt ein langwieriger Prozeß diplomatischer Verhandlungen.

Was begründet denn Ihren optimistischen Glauben in die neue Handlungsfähigkeit der Nato und der UNO?

Viele glauben fälschlicherweise, daß der jüngste Nato-Beschluß durch den Artillerieangriff auf den Marktplatz von Sarajevo am letzten Samstag hervorgerufen wurde. Der Schock darüber – und die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführte „CNN-Kurve“ – mögen die Entwicklungen beschleunigt haben. Doch ein grundlegender Wandel in der Bosnien- Politik der Nato-Alliierten war schon seit Wochen absehbar.

Die Gründe dafür liegen vor allem bei den Europäern: Sie haben in den letzten Monaten grundlegend ihre Sichtweise der Situation in Bosnien geändert – vor allem aufgrund des Drucks der französischen Regierung. Sie sind zu dem Schluß gekommen, daß die Strategie der humanitären Hilfe und der diplomatischen Vermittlung zu keiner Lösung führt. Sie dient für relativ wenige Zivilisten als Überlebenshilfe, doch größtenteils fungiert sie als Unterstützung für das bosnische Militär, die es der bosnischen Armee ermöglicht, weiterzukämpfen.

Das ist im Westen nicht weiter thematisiert worden, solange die Bosnier in der Verliererrolle waren. Jetzt verzeichnen sie zunehmend militärische Erfolge, auf die Kroatien und Serbien mit massivem militärischem Nachschub reagieren, dem die bosnische Armee nicht gewachsen ist – auch wenn Präsident Izetbegovic und viele Hardliner in Regierung und Militär glauben, sie könnten am Ende ihr verlorenes Territorium zurückerobern. Das ist eine Illusion: Sie werden noch mehr verlieren, als sie schon verloren haben.

Für die Europäer gab es nun mehrere Optionen zu diskutieren. Zum einen die Möglichkeit des Rückzugs aus Bosnien. Diese Variante ist in Großbritannien aufgekommen – doch im Prinzip fürchten die Europäer, daß sich im Falle ihres Abzugs der Krieg ausbreitet. Die einzige Alternative: Ernstzunehmender militärischer und politischer Druck auf alle Seiten, eine Friedensvereinbarung zu unterzeichnen. Letzteres hatte die Clinton-Administration bislang mit Rücksicht auf die bosnische Seite immer verweigert.

Jetzt will Clinton offensichtlich die bosnische Regierung unter Druck setzen, ein Abkommen und damit die Teilung des Landes zu akzeptieren. Was hat diesen Positionswandel in Washington herbeigeführt?

Die Europäer. Die haben mit einer kohärenten Position in Washington angeklopft – und Washington hat sich dem angeschlossen. Hätte die Clinton-Administration sich dem verweigert, dann wäre erstens das Risiko eines Abzugs der Europäer aus Bosnien sehr viel größer geworden. Und zweitens hätte es einen tiefen Riß im europäisch-amerikanischen Verhältnis bedeutet – vor allem aber zwischen Paris und Washington.

In diesen Tagen wird aber in der US-Öffentlichkeit und im Kongreß lauter denn je die Aufhebung des Waffenembargos gefordert. Sie waren einst dafür und sind jetzt dagegen. Warum?

Wenn wir, die USA, die Muslime jetzt bewaffnen, dann ermutigen wir sie, weiterzukämpfen und so viel Land zurückzuerobern wie möglich. Wer das tut, riskiert meines Erachtens eine Rüstungsspirale, in der andere Länder dann beginnen, Kroatien und Serbien zu beliefern. Sie brauchen sich nur Wladimir Schirinowskis Rede vom letzten Donnerstag in der Duma gehalten hat – über die Notwendigkeit für Rußland, den slawischen Brüdern zu helfen.

Ich halte es allerdings für absolut notwendig, daß Waffenembargo nach der Unterzeichnung eines Abkommens, nach der Teilung des Landes, aufzuheben. Statt „Lift and Strike“, also „Strike, Sign and Lift“. Ein zentraler Bestandteil eines Abkommens muß darin bestehen, daß die bosnische Armee sich danach mit den Waffen ausrüsten kann, die sie braucht, um den bosnischen Rumpfstaat zu verteidigen.

Wenn Sie mit Ihren Prognosen Recht behalten, bleibt also festzustellen: Weder die UNO, noch die Nato, noch die EU oder die USA allein, waren willens, die serbische und dann auch kroatische Aggression gegen Bosnien zu stoppen, solange die Bosnier hilflos waren. Jetzt, da sie sich erstmals halbwegs verteidigen können, greift die Nato ein ...

Richtig – und die moralische Bewertung dieser Entwicklung kann jeder selbst vornehmen. Es ist kein fairer Frieden, der da geschaffen werden soll. Es ist ein unfairer Waffenstillstand. Nur muß man sich jetzt fragen: Was ist wichtiger? Das Prinzip hochzuhalten, daß kriegerische Aggression nicht belohnt werden darf, oder den Tod weiterer, Hunderttausender von Menschen und eine Ausweitung des Konflikt zu riskieren? Wenn man sich für ersters entscheidet, dann muß man die Konsequenzen ziehen und eine große Anzahl von Bodentruppen nach Bosnien entsenden.

Wozu weder die USA noch die EU bereit sind ...

Davon abgesehen sollten wir uns mittlerweile ehrlich fragen, worum es der bosnischen Regierung geht. Vor anderthalb oder einem Jahr stand in Bosnien tatsächlich noch die Verteidigung einer pluralistischen Gesellschaft auf dem Spiel. Mittlerweile ist die bosnische Regierung eine überwiegend muslimische Regierung, Zentralbosnien ist faktisch ein muslimischer Staat und Premierminister Haris Silajdzic hat mir gegenüber selbst erklärt, Sarajevo sei die Hauptstadt eines muslimischen Staates. Und wer Territorialgewinne der bosnischen Armee unterstützen will, der muß sich zudem fragen, ob er bereit ist, Rachefeldzüge der Muslime in Kauf zu nehmen.

Sie haben selbst gesagt, daß die USA und Europa beim gegenwärtigen Nato-Ultimatum und einer neuen Verhandlungsinitiative nicht stehenbleiben dürfen. Was sind die nächsten Schritte?

Der Druck auf Kroatien und besonders Serbien muß unbedingt erhöht werden, um militärischen Nachschub zu unterbinden. Im Falle Kroatiens reichen Drohungen mit Wirtschaftssanktionen wahrscheinlich nicht. Da muß auch politischer Druck ausgeübt werden ...

Das wäre ja eine dankbare Aufgabe für die deutsche Regierung ...

Im Prinzip schon. Nur traue ich der deutschen Regierung nicht zu, daß sie ihren Einfluß in Kroatien in verantwortlicher Weise geltend macht. Die Deutschen waren in der Vergangenheit viel zu zuvorkommend gegenüber den kroatischen Forderungen. Sie sind es auch jetzt und insofern nicht Teil einer Lösung in dieser Frage, sondern Teil des Problems. Was Serbien betrifft: Zuerst einmal muß vor allem die UNO das publik machen, was sie über serbische Truppen-und Nachschubbewegungen weiß. Sie weiß und beobachtet meines Erachtens sehr viel mehr, als sie zugibt – offenbar, um die serbische Seite nicht zu sehr zu verärgern. Dann muß das Thema serbischer Kriegsverbrechen wieder stärker in die Öffentlichkeit gerückt werden...

Sollte man, wie Ex-US-Außenminister Lawrence Eagleburger vorgeschlagen hat, Serbien mit Luftangriffen auf strategische Ziele – Brücken, Flughäfen, Fabriken – in Serbien drohen?

Man sollte es auf alle Fälle in Erwägung ziehen.

Ist die jüngste Kooperation zwischen UNO und Nato in ihren Augen ein Präzedenzfall für zukünftige Konfliktlösungen?

Es ist jedenfalls ein Präzedenzfall in den amerikanisch-europäischen Beziehungen. Den Europäern ist endlich klar geworden, daß sie sich nicht immer auf die amerikanische Führungsrolle verlassen können. Im Gegenteil: Sie müssen und haben selbst die Initiative ergriffen und die Erfahrung gemacht, daß es auch andersherum geht: Die USA folgen den Europäern. Interview: Andrea Böhm

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