Interview mit türkischem Forscher: "Gerechter Krieg ist grün"
Selcuk Balamir fordert ein nachhaltiges Umdenken in der Kriegsführung. Gerechter Krieg sei ohne biologisch abbaubare Landminen nicht denkbar.
taz: Herr Balamir, wollen Sie den totalen Krieg?
Selcuk Balamir: Natürlich nicht, wer kann das wollen? Aber ich will, dass die Welt ein Stück gerechter wird. Dazu müssen wir begreifen, dass wir Gerechtigkeit nicht mehr auf dem herkömmlichen Weg herstellen können, bei dem konventionelle Kriege nur nachhaltige Verwerfungen produzieren.
Was wollen Sie denn?
Was wir brauchen ist ein radikales Umdenken. Und dazu brauchen wir neue Versionen eines gerechten Krieges. Dieser Krieg kann nur ein "Green War" sein.
Das müssen Sie erläutern.
ist 25 Jahre und Bewegungsaktivist. Er ist aktiv bei Climate Justice Action und forscht kritisch zu Fragen von Eco-Design in Amsterdam. Balamir stammt aus Ankara und entwickelte während seines Studiums mit anderen Studierenden die "Green War"-Kampagne, die das zunehmende "Greenwashing" durch Unternehmen und Staaten auf satirische Weise kritisiert.
Die globale Industriegesellschaft befindet sich auf dem richtigen Weg hin zu einer nachhaltigen, grünen Wirtschaftsordnung. Es kann aber nicht sein, dass wir über ökologische Anpassungen unserer Wirtschaftsordnung nachdenken und dabei die Grundlagen dieser Wirtschaftsordnung vernachlässigen. Deshalb müssen wir die Art und Weise, wie wir Kriege führen, grundsätzlich hinterfragen. Wir müssen der Kriegsführung den Nachhaltigkeitsaspekt voranstellen. Nur ein grüner Krieg kann ein gerechter Krieg sein.
Was verstehen Sie denn unter einem "gerechten Krieg"?
Sehen Sie: Krieg kann doch dann nicht gerecht sein, wenn etwa in Geschossen noch immer überwiegend Schwermetalle verarbeitet werden, die biologisch kaum abbaubar sind. Die Waffen der Zukunft müssen immer auch neues Leben hervorbringen.
Kriege müssen Leben stiften?
Natürlich. Sonst unterbrechen wir doch den natürlichen Kreislauf des Lebens. Es gibt aber noch eine zweite Komponente: Wenn wir etwa Kriege wie im Irak und Afghanistan betrachten, stellen wir fest, dass die konventionelle Kriegsführung zunehmend auf Legitimationsprobleme stößt. Die Menschen sagen zu Recht: Wir müssen die Gesetze von Mutter Natur auch mit den Mitteln von Mutter Natur anwenden. Ich fordere deshalb, dass künftig nur noch Landminen zugelassen werden, die zu 100 Prozent biologisch abbaubar sind.
Wie soll das aussehen?
Sehen Sie, derzeit wird geschätzt, dass in 62 Ländern der Erde noch rund 100 Millionen Minen liegen, die einfach nicht explodieren. Unsere Forscher haben deshalb biologisch abbaubare Landminen entwickelt, die nach ihrer vorgegebenen Lebenszeit selbständig explodieren und dann in den natürlichen Kreislauf übergehen. Hier verfügen wir über verschiedene Modelle. Für kleine Konflikte beträgt die Lebenszeit 2 Jahre, für seriösere Auseinandersetzungen 5 Jahre und speziell für die Balkan-Konflikte, den Israel-Palästina- und den Indien-Pakistan-Konflikt haben wir ein Modell entwickelt, das eine Lebenszeit von 25 Jahren hat. Wir müssen aber auch die bislang negative Bilanz der Schussverletzungen ausgleichen.
Was meinen Sie damit?
Ich bin der Meinung, dass es heute nicht mehr vermittelbar ist, Patronen herzustellen, die nicht auch Pflanzen- und Blumensamen enthalten. Neben einer Schwarzpulverfüllung muss künftig jedes Geschoss auch Saatgut enthalten. Neben dem ökologischen Aspekt gibt es auch einen symbolischen: Wo Leben geht, muss Leben kommen.
Können Sie das denn nur moralisch begründen?
Im Gegenteil, meine Begründung ist durchweg rational: Zunächst wirken diese Waffen motivierend. Wenn aus jedem abgegebenen Schuss ein Baum oder eine Blume wächst, weiß der Soldat, dass er Gutes tut. Das steigert die Effektivität. Wenn die westlichen Verteidigungssysteme daneben ihre Drohnen konsequent auf Solarbetrieb umstellen, wenn sie den Elektrobetrieb ihrer Räum- und Kampffahrzeuge aus erneuerbaren Energien sicherstellen und die Umstellung der Flugzeugträger auf Rapsöl vornehmen, hätte das zusätzlich nachhaltige Industrialisierungseffekte. Wir müssen begreifen, dass Ökologie ein Krieg ist, der nie endet. Nur wer grün sät, wird auch grün ernten.
Finden Sie für Ihre Pläne denn Unterstützung?
Wir beobachten zumindest, dass die Entwicklung in den USA seit der Wahl Barack Obamas eine sehr gute Grundlage für diese Wende darstellen könnte. Ich bin mit meiner Initiative "Green War" daher explizit an einer Verbesserung der militärindustriellen Beziehungen und an strategischen Partnerschaften mit kriegführenden Ländern interessiert. Wir verstehen uns als starker Partner für ambitionierte Staaten und freuen uns auf strategische Partnerschaften. Denn Sie sehen: Nur ein gemeinsames Bekenntnis zu einem neuen, grünen Krieg kann nachhaltig und gerecht sein. Und dann spricht ja auch nichts mehr dagegen, wenn er ein bisschen total wird.
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