Interview mit kubanischem Dissidenten: "Es ist eine revolutionäre Situation"
Regierungskritische Oppositionelle in Kuba werden aufgefordert, auszureisen. Der bekannte kubanische Dissident Guillermo Fariñas wünscht sich dazu eine deutliche Kritik aus Europa.
taz: Herr Fariñas, die Appelle von Jerzy Buzek, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, haben nichts bewirkt. Sie werden nicht zugegen sein, wenn Ihnen der Sacharow-Preis für geistige Freiheit verliehen wird. Haben Sie das so erwartet?
Guillermo Fariñas: Ich wäre sehr gern nach Straßburg gereist. Aber viel Hoffnung hatte ich nicht. Und vorige Woche wurde mir endgültig klar, dass ich die Papiere nicht bekommen würde. Ich habe zwar einen Pass, aber um zu reisen, benötige ich eine Ausreiseerlaubnis. Die habe ich nicht erhalten.
Warum nicht?
Ich denke, weil die Regierung den direkten Austausch der pazifistischen Opposition auf Kuba, zu der ich gehöre, und den Abgeordneten des EU-Parlaments und den Unterstützern in Europa fürchtet. Es gibt einen Unterschied zwischen dem direkten Dialog und den überwachten Telefongesprächen.
Wird es eine Videobotschaft für das EU-Parlament oder etwas Ähnliches von Ihnen geben?
Bisher ist so etwas nicht geplant.
Guillermo Fariñas, 48, Psychologe, Journalist und einer der bekanntesten Oppositionellen Kubas. In den vergangenen 15 Jahren trat er 23-mal in einen Hungerstreik, zuletzt Anfang dieses Jahres 135 Tage lang für die Freilassung von Gefangenen aus der Gruppe der 75. An diesem Mittwoch soll Fariñas, der aus einer revolutionären Familie stammt und dessen Vater mit Che Guevara im Kongo kämpfte, mit dem EU-Menschenrechtspreis, dem Sacharow-Preis, ausgezeichnet werden.
Die Gruppe besteht aus 75 kubanischen Regierungskritikern unterschiedlicher politischer Ausrichtung, die im März 2003 bei einer landesweiten Razzia verhaftet und zu Haftstrafen von 6 bis 28 Jahren verurteilt wurden. Von den 75 Gefangenen, die Amnesty International als Gewissenshäftlinge einstuft, sind bisher 64 freigelassen worden. 11 sitzen immer noch im Gefängnis, obwohl die Regierung von Raúl Castro in Verhandlungen mit der katholischen Kirche und der spanischen Regierung für Anfang November ihre Freilassung zugesagt hat. Wann sie freigelassen werden, ist unklar.
International sind Sie vor allem durch Ihre mehr als zwanzig Hungerstreiks bekannt geworden. Warum haben Sie derart oft zu diesem Mittel gegriffen?
Der Hungerstreik ist ein extremes Mittel, damit die Regierung uns und unsere Position überhaupt wahr- und ernst nimmt. Aber es ist nur das letzte Mittel, denn ich bin auch als unabhängiger Journalist tätig. Ich schreibe, informiere in einem Blog und in einer unabhängigen Presseagentur, die Foro Cubanácan Press heißt. Da wird über die Realitäten und Meinungen berichtet, die in den Medien des staatlichen Sozialismus keine Berücksichtigung finden. Zudem arbeiten wir im Rahmen des Netzwerkes der unabhängigen Bibliotheken und sorgen dafür, dass die Bevölkerung etwas anderes lesen kann als die durch die Zensur gebilligten Publikationen.
Für die Regierung sind Sie ein gewöhnlicher Krimineller.
Oh, das ist ein interessantes Thema. Am 8. März dieses Jahres erschien ein Artikel von Alberto Nuñez Betancourt, einem der Vizedirektoren der Parteizeitung Granma, in dem ich verschiedener krimineller Delikte beschuldigt wurde. Von meinem Einsatz im Krieg in Angola, von meiner Ausbildung in Russland, von der revolutionären Vergangenheit meiner Familie - von alledem war keine Rede. Einige Wochen später, ich war dem Tode nahe, erschien in derselben Zeitung ein Interview mit meinem Arzt, und ich wurde da als gewöhnlicher Bürger in durchaus respektvoller Weise dargestellt. Hier in Santa Clara weiß jeder, der mich kennt, dass ich ein Pazifist bin und niemanden schlagen würde, wie es mir in der Granma zur Last gelegt wurde.
Welche Bedeutung hat der EU-Menschenrechtspreis für Sie und für Kuba?
Dieser Preis ist keine Auszeichnung für Guillermo Fariñas, sondern für den Widerstand des kubanischen Volkes. Er ist zugleich eine Verpflichtung, bis wir es endlich geschafft haben, den eigentlichen Preis zu erringen: die totale Demokratisierung Kubas.
Was wünschen Sie von Europa?
Ich wünsche mir eine klare Haltung zu mehr Demokratie in Kuba. Ich wünsche, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments kritisieren, dass es nicht ausreicht, politische Gefangene freizulassen, ohne die Gesetze zu verändern, die deren Verurteilung erst ermöglicht haben.
Es ist immerhin das dritte Mal, dass ein Kubaner diesen Preis erhält.
Wenn ein Kubaner diesen Preis erhält, dann ist das auch eine Kritik an den Zuständen auf der Insel. Ich denke, dass die Regierung sehr wohl versucht, auf diplomatischen Wegen eine derartige Preisverleihung zu verhindern.
Noch immer sitzen elf Leute aus der Gruppe der 75 in Haft. Warum hält die Regierung nicht die Zusage ein, die sie der Kirche, der spanischen Regierung und Ihnen gemacht hat?
Ich denke, weil die Häftlinge sich weigern, in die Verbannung zu gehen, weil sie in Kuba leben wollen, weil sie widerstehen und nicht akzeptieren, dass die Regierung ihnen vorschreibt, wo und wie sie zu leben haben. Denn ein Ziel der Regierung ist es, das politische, soziale und ökonomische Leben zu kontrollieren.
Aber angesichts der fehlenden ökonomischen Perspektiven ist die Auswanderung doch Alltag auf Kuba.
Ja, und jedes Mal, wenn die Unzufriedenheit zu groß wird, lässt man über die Ausreise etwas Dampf aus dem Kessel. Das war 1965 so, als in Absprache mit den USA eine Luftbrücke eingerichtet wurde; das war 1980 so, als die Ausreise über den Hafen von Mariel gestattet wurde, und das war 1994 so, als etliche tausend Kubaner auf allem, was schwimmen konnte, die Insel verließen.
Aber die Aufforderung an Oppositionelle, das Land zu verlassen, ist doch neu, oder?
Ja, mir hat man das auch ans Herz gelegt. Aber diese elf Häftlinge stellen etwas dar, was der Regierung ganz und gar nicht gefällt: Sie wollen in ihrer Heimat bleiben und hier für ein anderes Kuba kämpfen. Ihr Verbleiben in Haft ist die Quittung der Regierung für diese Haltung.
Wie ist die derzeitige Situation auf der Insel?
Wir befinden uns in einer revolutionären Situation, denn die Regierten sind mit den Lebensbedingungen nicht zufrieden, die ihnen die Regierenden bieten, und es gibt spontane Proteste. So haben zum Beispiel die Kutscher in Bayamo kürzlich gegen die hohen Steuern protestiert, und hier in Santa Clara hat es während des Kinofestivals Proteste von Jugendlichen gegen die Informationspolitik der Regierung gegeben. Sie wollten unbedingt ein Fußballspiel der spanischen Liga sehen.
Und wie reagiert die Regierung auf diese Dinge?
Ich denke, dass sie noch nicht realisiert hat, dass es kaum mehr möglich ist, die Informationen zu steuern. Die Leute wissen immer öfter, was in und außerhalb Kubas passiert. Die Informationen durchlaufen nicht mehr wie früher den offiziellen Filter, und es häufen sich die Proteste, die man nach wie vor zu ersticken versucht.
Hat dieser Wandel auch etwas mit den jüngsten ökonomischen Reformen zu tun, die den Abbau von sozialen Sicherheitssystemen zur Folge haben?
Ja, auf jeden Fall, denn die Entlassung von Staatsbediensteten, die angestrebte Aufkündigung sozialer Sicherheitssysteme hat dazu beigetragen, dass Unzufriedenheit und Proteste zunehmen.
Sie haben Anfang Dezember gemeinsam mit den Dissidenten René Gómez Manzano und Félix Antonio Bonne Carcassé, die dem konservativen Lager zugerechnet werden, Stellung zur Wirtschaftspolitik der Regierung bezogen. Worum geht es Ihnen dabei?
Wir kritisieren, dass die Regierung seit über 50 Jahre eine Regierung der falschen Versprechen ist. Aus materieller Perspektive hat sie nie erfüllt, was sie versprochen hat. Wir appellieren, einen Schlussstrich zu ziehen und die Verantwortung anderen zu überlassen, die eher dazu in der Lage sind, die Bevölkerung aus der Armut zu führen, in der wir uns befinden. Das ist in wenigen Worten der Kern des Dokuments, das wir Anfang Dezember vorgestellt haben. Es ist eine Reaktion auf das Dokument, das die Kommunistische Partei vor einigen Wochen präsentiert hat, um die Diskussion auf dem Parteikongress im April vorzubereiten.
Es ein knappes halbes Jahr her, das Sie Ihren mehr als hundert Tage währenden Hungerstreik beendet haben, an dessen Ende die Regierung zusicherte, die letzten 52 Häftlinge aus der Gruppe der 75 freizulassen. Wie geht es Ihnen jetzt?
Mit geht es recht gut, aber ich habe noch mit zwei Blutgerinnseln zu kämpfen, ein Thrombus im linken Arm und einem am Hals, die medikamentös behandelt werden. Das sind die beiden Dinge, die Sorgen machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
USA nach Trump-Wiederwahl
Das Diversity-Drama