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■ Interview mit dem US-Politologen Samuel P. HuntingtonDer wüste Mahner

Mit seiner These vom Zusammenprall der verschiedenen Kulturen hat der Harvard-Professor Samuel P. Huntington eine weltweite Diskussion ausgelöst. In der einflußreichen US-Zeitschrift „Foreign Affairs“ stellte er die Hypothese auf, daß nach dem Ende der ideologisch und ökonomisch bestimmten Blockkonfrontation die Konfliktlinien sich entlang der verschiedenen Kulturkreise herausbilden werden – namentlich nennt der Politikwissenschaftler den Westen, die orthodox geprägten Regionen Ost- und Südosteuropas, den Islam, den Hinduismus, China sowie Japan. Huntington war letzte Woche auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bonn.

taz: Vor wenigen Tagen hat die Auspeitschung eines amerikanischen Staatsbürgers in Singapur großes Aufsehen erregt. Paßt dieser Vorfall in Ihre Theorie?

Samuel P. Huntington: Diese Episode ist nur einer der vielen Konflikte, die zwischen den USA und asiatischen Staaten in jüngster Zeit virulent sind. Da gibt es den Handelskonflikt zwischen den USA und Japan, der im Grunde auch ein sozialer und kultureller Konflikt ist, denn die USA verlangen von den Japanern, ihr Wirtschaftssystem zu ändern und sich dem amerikanischen anzunähern. Schließlich ist da der Konflikt mit China über die Menschenrechte, der offensichtlich auch ein Kulturkonflikt ist.

Ihrer Meinung nach gibt es solche Kulturkonflikte auch in Europa. Ex-Jugoslawien ist für Sie ein Beispiel.

Sicher ist das, was in Ex-Jugoslawien geschieht, ein Zusammenprall verschiedener Kulturen, von kroatischen und slowenischen Katholiken, bosnischen Muslimen und serbisch-orthodoxen Christen. Diese Gruppen lebten verhältnismäßig harmonisch zusammen unter dem kommunistischen System. Mit dem Kollaps dieses Systems wurde die Identität dieser Leute wieder bestimmt von ihren religiösen Überzeugungen, ihren verschiedenen Kulturen. Das führte zu dem gegenwärtigen Konflikt. Es ist bemerkenswert, daß jede dieser Gruppen enge Beziehungen zu Ländern außerhalb Jugoslawiens unterhält – die Russen unterstützen die Serben, etliche islamische Länder unterstützen mit erheblichen Beträgen die Muslime. Deswegen ist es für den Rest der Welt so entscheidend, was in Ex-Jugoslawien passiert.

Was empfehlen Sie denn Europa, jenem Kontinent, durch den laut Ihrer Theorie eine Kulturgrenze zwischen abendländischem Christentum und orthodoxer Kirche läuft. Soll die Europäische Union sich nach Mittelosteuropa öffnen?

Das wäre ein richtiger Schritt. Die Nato sollte einen Zeitplan erarbeiten zur Aufnahme dieser Staaten. Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken sind in der Geschichte ein Teil Europas und der westlichen Kultur gewesen und haben sich als solcher gefühlt. Wir reden von einer Trennungslinie, die fast ausschließlich entlang verschiedener Religionen läuft. Man muß einsehen, daß Europa dort endet, wo die moslemische und die orthodoxe Welt beginnt.

Das heißt, Sie schließen Rußland aus?

Ja. Rußland ist historisch eine andere Gesellschaft.

Warum betonen Sie die Unterschiede zwischen den Kulturen und nicht die Gemeinsamkeiten? Kulturwissenschaftler argumentieren, auch aus den Grundelementen anderer Kulturkreise ließe sich eine gemeinsame Basis für Menschenrechte ableiten.

Es gibt keine gemeinsame Basis für Menschenrechte zwischen Christentum und Islam, denn sie sind zwei sehr verschiedene Religionen. Zwar lassen sich aus beiden Religionen Argumente für die Menschenrechte ableiten, aber das würde von verschiedenen Ausgangspunkten aus geschehen.

Wie lassen sich Menschenrechte fördern?

In den meisten Fällen wird es nicht zum gewünschten Erfolg führen, wenn man versucht, anderen Ländern zu drohen oder sie zu drängen, Verhaltensmuster zu ändern, die in einer jahrhundertealten Tradition verwurzelt sind. Das Vernünftigste, was wir zum Beispiel in der Frage der Menschenrechte in China machen können, ist die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes und seine aktive Teilnahme an der Weltgemeinschaft zu fördern. Auf lange Sicht wird das auch Chinas Verhältnis zur Menschenrechtsfrage ändern.

Wenn Politiker Ihre These akzeptieren und andere Kulturen als Gegner wahrnehmen, so erweist sich Ihre Theorie möglicherweise als „self-fullfilling prophecy“.

Wir in den USA haben eine Tradition der Fehlwahrnehmung anderer Völker. Wir denken beständig, sie müßten uns einfach mögen. Das führt zu allen erdenklichen Mißverständnissen, Konflikten und Schwierigkeiten. Die Amerikaner glauben, alle Kulturen sind im Grunde gleich, alle Menschen strebten dasselbe an. Ich dagegen glaube, wenn man die Unterschiede anerkennt, verhindert man Fehlwahrnehmung.

Aber fördert Ihre Theorie nicht die Entstehung von Konflikten, die sie angeblich nur voraussagt?

Nur wenn Sie eine Entwicklung wahrnehmen, können Sie sich auf ihre möglichen Folgen einstellen. Während des Kalten Krieges haben viele einen Nuklearkrieg prophezeit. Wir konnten ihn nur deshalb verhindern, weil Politiker diese Warnung ernst genommen haben. Wenn Menschen die Ausbreitung von Aids und Hunger in der Welt oder globale Umweltzerstörung voraussagen, dann wollen sie andere aufwecken, damit gehandelt wird.

Kritiker bezeichnen Ihre Theorie als rassistisch.

Das ist sie nicht. Ich glaube, ich habe den Begriff „Rasse“ in dem Artikel kein einziges Mal verwendet. Ich spreche von kulturellen Unterschieden, nicht von unterschiedlichen Hautfarben. Wichtig sind die Gewohnheiten, Überlieferungen sowie Religionen – das zentrale Element aller Kulturen.

In westlichen Staaten leben Christen, Muslime, Juden zusammen. Hat Ihre Theorie nicht gefährliche Auswirkungen auf das Verhältnis von Menschen verschiedener Herkunft in einer Gesellschaft?

Meine Theorie kann doch den sehr nützlichen Anreiz geben, sich die verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft näher anzusehen. Historisch gesehen, waren wir christliche Gesellschaften. Das kann offensichtlich zu Problemen führen – heute mit Muslimen, in der Vergangenheit mit Juden. Ich denke, es ist sehr schwierig, einen Weg zu finden, verschiedene Gruppen zu integrieren. Mir scheint, daß Muslime sich im Assimilationsprozeß in verschiedenen Gesellschaften, nicht nur im Westen, als „unverdaulich“ erwiesen haben. Das ist auch ein Thema hier in Deutschland mit der türkischen Minderheit.

Liefert Ihre Theorie nicht eine ideologische Legitimation der amerikanischen Vormachtstellung in der Welt?

Ich wüßte nicht, wie jemand das begründen wollte. Tatsächlich lautet doch meine These, daß wir uns daran gewöhnen müssen, in einer Welt mit verschiedenen Kulturen zu leben. Das ist keine Empfehlung für eine Dominanz des Westens, sondern für dessen Sicherheit. In der Vergangenheit war der Westen in den meisten Regionen der Erde die dominierende Macht. Diese Ära geht ihrem Ende entgegen. Andere Gesellschaften und Kulturen, vor allem die ostasiatischen, Japan, China, in absehbarer Zeit auch Indien, werden eine viel wichtigere Rolle in dieser Welt spielen. Der Westen muß sich ihnen anpassen. Interview: Hans Monath

und Rüdiger Soldt

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