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■ Interview mit dem NRW-Innenminister Schnoor zur Wende der SPD in Sachen Art. 16 GrundgesetzUmfall aus Angst vor dem Faschismus

taz: Herr Schnoor, Sie haben in der Vergangenheit immer auf die Bedeutung der grundgesetzlich gewährten Asylgarantie hingewiesen und eine Änderung des Art. 16 abgelehnt. Der CDU haben Sie darüber hinaus entgegengehalten, daß eine Änderung des Art. 16 die Zuwanderung nicht eindämmen könne. Warum gelten diese Argumente nach der Petersberger Wende der SPD nicht mehr?

Herbert Schnoor: Ich setze mich innerhalb der SPD seit langem dafür ein, einen Weg zu finden, um den permanenten Streit um das Asylrecht endlich zu beenden. Dieser Streit beeinträchtigt inzwischen auch andere Werte in unserer Gesellschaft. Dazu haben auch diejenigen beigetragen, die sich — wie ich — vehement gegen ein Änderung des Art. 16 gestemmt haben. Tatsächlich kommen wir an der Erkenntnis nicht vorbei, daß große Teile der Bevölkerung mit der gegenwärtigen Situation absolut unzufrieden sind. Ich habe die große Sorge, daß wir, wenn wir jetzt nicht reagieren, den Nährboden für einen neuen Faschismus bereiten könnten. Ich gehöre einer Generation an, die den Aufstieg des Faschismus in Deutschland aus eigenem Erleben kennt. Das sind für mich traumatische Erinnerungen. Als Innenminister habe ich seit Anfang der 80er Jahre immer darauf hingewiesen, daß sich die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus nicht am schwachen Organisationsgrad der rechtsextremistischen Parteien ablesen läßt, sondern daß die Bedrohung aus den latenten Einfallstoren, die in der Gesellschaft existieren, resultiert. Und ich möchte nicht zu denjenigen gehören, von denen man später einmal sagt, hat der eigentlich nicht gemerkt, daß er bei dem Kampf um das Asylrecht selbst mit dazu beigetragen hat, daß die Bevölkerung rechten Rattenfängern nachgelaufen ist. Diese Befürchtung läßt mich heute zu einer neuen Einschätzung kommen. Die Zuwanderungsproblematik wird gewiß auch nach einer Grundgesetzänderung bleiben, aber man kann Maßnahmen ergreifen, aufgrund derer beschleunigt verfahren werden kann. Bewerbergruppen aus den „Nichtverfolgerstaaten“ können nach einer Grundgesetzänderung zügiger zurückgeführt werden.

Wenn Sie der Aufstellung von Listen sogenannter „Nichtverfolgerstaaten“ zustimmen, dann geben Sie doch das Asylrecht als Individualrecht auf.

Hinsichtlich der Intensität der Überprüfung ist es erlaubt, nach Ländern zu differenzieren. Aber niemals können Personen aus bestimmten Ländern vom Verfahren völlig ausgeschlossen werden. Ohne Prüfung kann niemand zurückgewiesen werden. Das läßt nach meiner Auffassung auch die Genfer Konvention nicht zu. Nur, die Prüfung könnte bei bestimmten Ländern — etwa Rumänien — pauschaler sein.

Was soll an der Grenze mit einem rumänischen Flüchtling geschehen?

Er müßte seine ganz persönliche Situation begründen und damit der allgemeinen Vermutung, daß es in Rumänien keine politische Verfolgung gibt, entgegenstehende Tatsachen vorbringen. Das müßte dann vor Ort geprüft werden...

Was passiert, wenn seine Gründe nicht anerkannt werden? Wo bleibt die Rechtsweggarantie?

Dann muß es einen Rechtsschutz geben. Die Klage könnte er aber auch aus Bukarest führen, denn man kann in diesem Fall davon ausgehen, daß ihm dort persönlich kein Leid geschieht.

Das Verfahren läuft doch darauf hinaus, daß der Flüchtling, der sich in seinem Heimatland verfolgt fühlt, die Asylgewährung vom Verfolgungsort selbst aus betreiben muß. Dem wird der verfolgende Staatsapparat gewiß nicht tatenlos zusehen.

Nein, das Verfahren ist anders. Der Antrag wird doch an der Grenze gestellt, und da wird zunächst durch die Verwaltung geprüft. Kommt die Ablehnung, kann er dagegen bei uns ein Rechtsmittel einlegen. Dann wird in einem pauschalierten, vorläufigen Verfahren durch ein Gericht geprüft, ob die Verwaltungsentscheidung richtig war. Wenn jetzt das Gericht sagt, die Ablehnung ist plausibel, dann wird er zurückgeschickt und kann dagegen von seiner Heimat aus noch einmal klagen. Ich räume ein, daß man bei puristischer Betrachtungsweise sagen könnte, diese endgültige Prüfung muß auch bei uns vor Ort erfolgen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß wir bei 500.000 Anträgen pro Jahr die Überprüfung wie bisher nicht mehr gewährleisten können. Deshalb brauchen wir eine Vereinfachung des Verfahrens, um wenigstens in den Fällen, wo es wirklich Anhaltspunkte für Verfolgungen gibt, intensiv prüfen zu können.

Die CDU ist ja nun schon wieder ein Stückchen weiter. Die wollen — und Oskar Lafontaine pustet in das gleiche Horn — das Individualrecht gänzlich abschaffen. Ihr Nachgeben wird den öffentlichen Streit kaum beenden.

Für das Ende des Streits bin ich bereit, einen Preis zu zahlen — allerdings nicht jeden. Wir müssen doch sehen, daß wir in unseren Städten und Gemeinden wirklich Probleme haben und Gefahr laufen, daß weite Teile der Bevölkerung an der Demokratie irre werden. Ich sehe auch, daß einige bestrebt sind, die Asyldebatte weiter zu schüren, um von anderen ungelösten Problemen, wie der Massenarbeitslosigkeit oder dem Finanzdesaster im Zuge der deutschen Einheit, abzulenken. Dieses Risikos bin ich mir bewußt, aber wir müssen uns als SPD ohne Tabuschranken mit den Gutwilligen in der CDU um einen Weg bemühen, der die Beendigung des öffentlichen Streites möglich macht, von dem nur die Rechtsradikalen profitieren.

Herr Schnoor, Ihr früherer Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel hat erst vor ein paar Tagen erklärt, daß die Ziele, die die SPD jetzt mit der Grundgesetzänderung anstrebt, auch durch einfache Verwaltungsreformen und Gesetzesänderungen zu erreichen wären.

Es tut mir fast weh, daß ich in dieser Frage Hans-Jochen Vogel nicht zustimmen kann. Was haben wir denn in der Vergangenheit getan? Wir haben uns juristisch verbogen und das Grundgesetz bis zum äußersten strapaziert, um auf keinen Fall zu einer Grundgesetzänderung zu kommen. Jetzt wird gesagt, macht es doch mit dem Asylbeschleunigungsverfahren, aber die Experten im Bundestag haben genau dieses Verfahren für verfassungswidrig erklärt. Wir haben Rechtsmittel verkürzt. Das hätten wir vor fünf Jahren als Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip abgelehnt. Wir haben die Instanzen gekürzt und Sammellager eingeführt. Ich bin nicht mehr bereit, diesen Weg weiter zu gehen, und dafür gibt es im Bundestag auch keine Mehrheit mehr. Interview: Walter Jakobs

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