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Interview mit Shallah Shaiq „Afghanistan ist nicht sicher“

Unsere Refugiums-Kandidatin leitete in Jalalabad ein Radioprogramm für Frauen, bis sie massiv bedroht wurde.

Kuratoriumsmitglied Andreas Lorenz und Shallah Shaiq im taz Café Foto: Barbara Dietl

Andreas Lorenz: Ihre Radiostation heisst „Nargis“. Was bedeutet das?

Shallah Shaiq: Nargis ist der Name einer schönen, weißen Blume. Deshalb heißen auch viele afghanische Frauen Nargis.

Nargis ist ein Sender von Frauen für Frauen. Wie kamen Sie auf die Idee, ihn zu gründen?

Ich habe beim privaten Sender „Sharq“ gearbeitet, der meinem Mann gehört. Dort leitete ich ein Frauenprogramm. Es wurde nur ein Mal in der Woche ausgestrahlt. Das war nachdem die Taliban die Macht verloren hatten. Ich merkte schnell, dass man in einer Stunde in der Woche nicht alle Probleme der afghanischen Frauen ansprechen kann.

Gab es denn damals überhaupt genügend Journalistinnen?

Nein. Damals, in 2007, fingen wir mit einem zwölfjährigen Mädchen und meiner Tochter an. Die war damals acht Jahre alt.

Das klingt aber sehr nach Kinderarbeit ...

Wir haben die Mädchen ausgebildet, und sie haben nicht lange gearbeitet. Danach starteten wir, systematisch junge Frauen zu Journalistinnen auszubilden. Sie waren zwischen 18 und 20 Jahre alt. Das machen wir bis heute. Inzwischen arbeiten in Afghanistan viele Journalistinnen.

Warum hielten Sie es für notwendig, Programme nur für Frauen auszustrahlen?

In den Zeiten der Taliban existierte Afghanistan nicht mehr. Es herrschte nur Dunkelheit und Unglück. Besonders Frauen waren Opfer dieser Situation, vor allem in Jalalabad, wo ich herkomme. Ich selbst war ein Opfer: Ich musste die Schule verlassen, durfte nicht aus dem Haus. Ich war ungefähr 20 Jahre alt, aber schon psychisch angeschlagen. Ich war damals schon verheiratet worden und hatte vier Kinder.

Warum durften Sie Ihr Haus nicht verlassen?

Das ging nur mit einer Burka, und auch das war gefährlich. Die Taliban haben willkürlich Frauen umgebracht, wenn sie allein unterwegs waren. Zum Glück haben mich mein Mann und meine Brüder stets bei meinen Projekten unterstützt.

Über welche Probleme berichten Ihnen die Frauen?

Ihr Leben ist ja völlig zerstört worden, sie kennen ihre Rechte nicht. In einigen Familien dürfen die Frauen auch heute nicht ohne Erlaubnis der Männer sprechen, sie dürfen nicht entscheiden, wie sie ihre Kinder erziehen. Kommt es zu tödlichen Streitigkeiten zwischen Clans, entscheidet der Ältestenrat schon mal, dass eine Familie ein junges Mädchen als Trostgabe an die andere Familie ausliefern muss. Dort werden sie nicht selten geschlagen, sie müssen hart arbeiten, sie sind völlig rechtlos.

Wie funktionieren Ihre Sendungen? Rufen die Mädchen und Frauen an und berichten, dass sie nicht zur Schule dürfen oder von den Männern geschlagen werden?

Ja. Am Anfang war das unsäglich schwer, denn die Männer kamen und stritten sich mit meinem Mann herum. Nach ihrer Ansicht verstößt es gegen den Islam, wenn Frauen in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen. Wir haben mit harmlosen Themen angefangen: Kindererziehung, Hausarbeit etc.

Bitten die Frauen Sie um Hilfe?

Ja. Allerdings gehen wir damit nicht mehr auf Sendung. Wir haben inzwischen eine Hotline eingerichtet. Das geht über die journalistische Arbeit hinaus. Nicht selten holen wir Frauen aus ihren Häusern und bringen sie zu Frauenrechts-Gruppen. Inzwischen kennen viel mehr ihre Rechte und wissen, an wen sie sich wenden können.

In Jalalabad und Umgebung sind Taliban und IS-Kämpfer stark. Wie kommen Sie damit klar?

Jalalabad liegt in der Nähe der pakistanischen Grenze, die Stadt ist inzwischen Zentrale der Taliban und des IS. Allerdings kann man diese Männer im Stadtbild nicht erkennen. Unser Sender ist vier Mal angegriffen worden, ein Mal warfen sie eine Handgranate, zwei Mal schossen sie mit Raketen, und 2015 sprengte sich ein Selbstmord-Attentäter in die Luft. Ein junger Mann verlor beide Beine, der Täter starb, unsere gesamte Technik wurde zerstört. Ich gehe nur noch in einer Burka und mit einem Leibwächter auf die Straße.

Sie erhielten Drohbriefe ...

Ja, eines Tages erklärte die Regierung meinem Mann, dass sie mich nicht beschützen können. Seit einem Jahr sitze ich deshalb nicht mehr am Mikrophon. Aber nach meiner Rückkehr nach Afghanistan werde ich wieder anfangen.

Warum haben Sie sich für das Auszeit-Programm von taz und Reporter ohne Grenzen beworben?

Ich wollte ein wenig entspannen und gleichzeitig etwas lernen: Ich besuchte einen Englisch-Kurs. Zudem bekam ich Gelegenheit, mit einer Psychologin zu sprechen. Das Schicksal dieser Frauen und die Lage in Afghanistan nimmt einen doch sehr mit. Ich fühle mich inzwischen viel besser. Zum ersten Mal in meinem Leben genieße ich ein friedliches Dasein ohne Bedrohung.

Sie sind zum ersten Mal in Berlin. Wie haben die Berliner auf Ihr Kopftuch reagiert?

Ich dachte zunächst, die Menschen hier hassen alle Ausländer. Aber nach zwei Monaten stelle ich fest: Die Leute sind freundlich, nur einige ältere Damen waren mir gegenüber unhöflich.

Die Bundesregierung schickt afghanische Flüchtlinge zurück, wenn sie kein Asyl erhalten haben. Was halten Sie davon? Ist Afghanistan sicher?

Nein, Afghanistan ist nicht sicher, besonders nicht in diesem und im vorigen Jahr. Meine eigenen Kinder können nicht auf die Straße gehen, weil es zu gefährlich ist. Man sollte auch bedenken: Die Afghanen kehren als Verlierer zurück. Ihre Familien haben viel Geld ausgegeben, damit sie nach Deutschland kommen, und nun sind sie wieder da - mit nichts in der Tasche.

Das taz Refugium ist ein gemeinsames Projekt der taz Panter Stiftung und den Reporter ohne Grenzen. Das Interview führte Kuratoriumsmitglied der taz Panter Stiftung Andreas Lorenz.