Interview mit Ruandas Präsident Kagame: "Ruanda ist in gutem Zustand"
16 Jahre nach dem Völkermord an den Tutsi: Ruandas Präsident Paul Kagame sieht die Zeit für Europas Exilruander gekommen, in das ostafrikanische Land zurückzukehren.
taz: Herr Präsident, Sie haben sich in Brüssel mit über 2000 Exilruandern aus ganz Europa getroffen und sie zur Rückkehr in ihre Heimat aufgerufen. Es gibt in der ruandischen Diaspora auch mutmaßliche Teilnehmer am Völkermord. Wie wollen Sie die Überlebenden in Ruanda beruhigen, falls Leute zurückkehren, vor denen man Angst haben kann?
Wir wollen alle Ruander beruhigen. Ruander sind nicht homogen. Wir haben Opfer, Überlebende, Täter, deren Familienangehörige, alle möglichen Leute. Also müssen wir ein Umfeld der Rechtsstaatlichkeit und der Gerechtigkeit schaffen, in dem sich jeder einigermaßen wohlfühlt. Wir wollen alle einbeziehen. Den Überlebenden sagen wir: Wir haben Frieden wiederhergestellt, Institutionen geschaffen, es gibt Fortschritt, die Menschen bauen ihr Leben neu auf. Es ist ein Prozess, und wir sind uns ständig bewusst, woher wir kommen und wohin wir gehen.
Im Exil sind auch etliche Armeeoffiziere. Sie haben ihnen vorgeworfen, mit der Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) zusammenarbeiten, die aus den Tätern des Völkermords hervorgegangen ist.
Das sage nicht nur ich, das sagt auch die UNO. Diese Dinge geschehen, aber sie können den Prozess und den Aufbau unseres Landes nicht aufhalten! Das habe ich auch den Ruandern gesagt. Vieles, was sie hören, ist gelogen. Wenn man auf die Gerüchte hören würde, müsste man denken, das Land steht in Flammen...
Es hat aber Granatenanschläge gegeben...
Ja. Und in Europa gibt es Terrorismus. Ich glaube aber nicht, dass Europa nicht vorankommt. Also wenn ein paar Leute Granaten werfen und wir sie nach einigen Monaten finden, haben wir die Lage im Griff.
Paul Kagame, seit 2000 Präsident Ruandas, wurde 2010 mit 93 Prozent wiedergewählt. Seine Ruandische Patriotische Front eroberte Ruanda 1994 und setzte damit einem Völkermord an Ruandas Tutsi, der 800.000 Todesopfer forderte, ein Ende.
Mehr und mehr Offiziere verlassen die Armee. Bereitet Ihnen das keine Sorge?
Das ist eine Übertreibung. Sagen wir es sind 100, und Sie sagen: 200. Wir haben 3.500 Soldaten in der Friedensmission in Darfur. Wir haben zehntausende weitere. Also bin ich zuversichtlich, dass die Armee und das Land in gutem Zustand sind. In sehr gutem Zustand.
Manche sagen, das politische System wäre noch stabiler, wenn Oppositionelle zu den Präsidentschaftswahlen im August hätten antreten dürfen. Zum Beispiel Victoire Ingabire (die derzeit inhaftierte Führerin der nicht zugelassenen Hutu-Oppositionspartei FDU, d.Red).
Wissen Sie, ich zweifele nie an der Intelligenz der Menschen, aber manchmal an ihren Intentionen. Wir hatten vier Präsidentschaftskandidaten. Aber dann sagten manche: Nein, das waren nicht die richtigen Kandidaten! Wer sind sie, zu sagen, wer der richtige Kandidat ist? Wir sind Ruander, es war eine ruandische Wahl, es ist unser Land, und dann will uns jemand vorschreiben, wen man wählen darf? Ingabire kam und wollte zur Wahl antreten, aber es gibt dafür Regeln. Sie kann nicht einfach kommen und sagen: Ich stelle meine eigenen Regeln auf, ich beachte die ruandischen Regeln nicht, stellt mir keine Fragen, ich will Präsidentin sein. Ruanda ist kein Dschungel.
Was war Ingabires Problem? Ihre Verbindungen zur FDLR?
Ja. Gucken Sie mal auf ihre Webseite. Diese Frau ist eine Völkermörderin. Sie hat nicht getötet, aber sie verbreitet Völkermordideologie. Sie sagt es auf ihrer Webseite, und sie sagte es auch in Ruanda. Sie dachte, sie kann alles sagen und man kann nichts tun, weil sonst die internationale Gemeinschaft schreit. Und ja, die internationale Gemeinschaft schreit. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern!
Um die FDLR zu beseitigen, haben Sie 2009 gemeinsam mit Kongos Armee die "Operation Umoja Wetu" im Ostkongo durchgeführt. Aber das Problem ist nicht verschwunden. Überlegen Sie und Kongos Präsident Kabila sich, eine solche Operation zu wiederholen?
Das Problem ist nicht verschwunden, aber es ist kleiner geworden. Die Frage ist, was die UNO dort tut. Sie gibt im Kongo jedes Jahr über eine Milliarde Dollar aus. Wieso haben wir dann immer noch ein Problem?
Wenn die UNO ihre Arbeit nicht macht, wieso nehmen Afrikaner ihr Schicksal dann nicht in die eigenen Hände?
Genau. Deswegen sind wir ja gemeinsam mit den Kongolesen aktiv geworden. Es gibt also Dinge, die Ruanda und Kongo gemeinsam lösen können. Ich wünsche mir, wir hätten dafür mehr Zeit gehabt. Ansonsten müssen Kongolesen die Probleme des Kongo lösen, so wie Ruander die Probleme Ruandas. Zum Kongo können Sie mich nicht befragen, das ist nicht meine Angelegenheit.
Außer dass die FDLR im Kongo Ihre Landsleute sind...
Ja, aber wenn meine Landsleute in anderen Ländern leben, kann ich nicht hingehen und ihnen diktieren, was sie tun sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Sicherheitsleck in der JVA Burg
Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen