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Interview mit Polizeiausbilder„Reaktion trainieren“

Nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Neptunbrunnen: Psychologe und Polizeiausbilder Wim Nittelnsroth über den Umgang mit psychisch Kranken.

Werden Polizisten in der Ausbildung gut auf den Umgang mit psychisch Kranken vorbereitet? Bild: DPA
Interview von Milena Menzemer

taz: Herr Nettelnstroth, vor knapp zwei Wochen hat ein Polizist einen vermutlich verwirrten Mann vor dem Roten Rathaus erschossen. Er war nackt und mit einem Messer bewaffnet. Wären Sie in dieser Situation in den Neptunbrunnen geklettert, wie es der Polizist tat?

Wim Nettelnstroth: Sie gehen von Voraussetzungen aus, die mir nicht bekannt sind. Im Internet kursiert ein Video, und die Medien haben den Fall sofort aufgegriffen. Alle tun gerade so, als wüssten sie, was passiert ist. Dabei sind die Umstände unbekannt, unter denen sich diese Situation entwickelte. Filme können manipulativ sein, deshalb ist bei der Beurteilung dieser Sache Vorsicht geboten. Ich kann mich zu diesem Fall nicht äußern.

Wie bereiten Sie Ihre Studenten auf solche Situationen vor?

Wim Nettelnsroth

ist Professor für Psychologie am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin.

Das Deeskalationstraining hat in unseren Lehrveranstaltungen einen relativ hohen Stundenanteil. Wir thematisieren hier auch Krankheitsbilder von psychischen Störungen: Was sind psychische Störungen? Wie können sie sich äußern? Und wie kann ich sie erkennen?

Gibt es für solche Situationen ein einheitliches Vorgehen, das Sie lehren?

Nein. Es gibt keine Handlungsweise, die für alle Störungen angemessen ist. Der Polizist muss sein Handeln auf die Person abstimmen, mit der er arbeitet. Was bei einem Menschen funktioniert, mag bei einem anderen nicht gehen. Aber es gibt gewisse Muster, die wir lehren. Ich denke auch, dass ich den Studierenden gut vermitteln kann, dass in Gefahrensituationen im Umgang mit psychisch Kranken Vorsicht geboten ist.

In welchem Verhältnis stehen Theorie und Praxis dabei?

Wir besprechen keine einzelnen Fälle, sondern typische Bedrohungslagen und Verhaltensweisen von Menschen. Aus den Praxisfällen werden Tätermuster erarbeitet, die wir unseren Studierenden näherbringen. Aber wir trainieren auch intensiv Kommunikationstechniken und machen Rollenspiele: Wie kann ich einen Bürger beruhigen? Wie kann ich ihn wertschätzen?

Ist das Erlernte in der Realität überhaupt umsetzbar?

Die Reaktion in solchen Situationen muss intensiv trainiert werden, damit die Handlungsoptionen perfekt abgerufen werden können. Die Polizisten müssen verhaltenssicher sein, nicht nur theoriesicher. Ich habe auf jeden Fall Achtung vor der Arbeit der Polizei.

Welche Mittel der Deeskalation gibt es?

Die Deeskalation von Bedrohungssituationen basiert auf Kommunikation. Aber Kommunikation besteht nicht nur aus Worten. Der Polizist kann mit seinem Auftreten, seiner Körpersprache, Worten und Betonung Signale setzen. Dabei muss er sich individuell auf den Menschen einstimmen. Wenn die Person panisch ist, muss man sie beruhigen. Man sollte Ernsthaftigkeit und Anerkennung senden. Aber wenn geduldig alles versucht wurde und trotzdem nichts wirkt – und die Person Mitmenschen bedroht –, dann müssen andere Techniken greifen, auch der Waffeneinsatz.

Reicht die Theorie zum Umgang mit psychisch labilen Menschen aus?

Es gibt Studien, die besagen, dass in mehr als 50 Prozent der erfassten Bedrohungssituationen Menschen mit psychischer Erkrankung involviert waren. Die letzten drei tödlichen Schüsse von Polizisten in Berlin waren alle auf Menschen mit psychischer Erkrankung. Man müsste diese Thematik vermehrt im Unterricht aufnehmen und Polizisten besser im Umgang mit psychisch Kranken schulen.

Wie sollen sich Schutzpolizisten im mittleren und gehobenen Dienst verhalten: eingreifen oder auf einen Polizeipsychologen warten?

Die Schutzpolizisten werden selbstverständlich auch mit Methoden geschult. Aber im Curriculum für den mittleren Dienst hat die Psychologie keinen hohen Stellenwert. Die Kollegen vor Ort sollen Situationen aber richtig einschätzen und sofort eingreifen können und nicht auf einen Polizeipsychologen warten.

Ist der mittlere Dienst dafür ausreichend ausgebildet?

Die Ausbildung kann natürlich immer noch intensiviert werden. Kommunikationsmethoden sollten auch zum Schwerpunkt des mittleren Dienstes gehören. Der Beamte vor Ort muss mit solchen Situationen umgehen können.

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4 Kommentare

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  • A
    anonyma

    Ganz nebenbei hatte der Mann Angehörige? Familie, Freunde? Was hat er sonst noch gemacht außen im Brunnen gebadet?

     

    Rein theoretisch:

    Ihre Truppe kommt zu ziemlich Lauten Party, die Anwohner machen schon ensprechende Andeutungen und da öffnet Ihnen nehmen eine, sie leutet ein bißchen und sieht irgendwie verstörend aus wegen zerzauster Haare und unvorteilhaft geschmickt und jetzt hat die Frau auch noch ein Messer in der Hand.

     

    Entweder haben Sie gerade ein psychopathische Irrsinnig die Anwohner mit Krach terroisiert, davon abgehalten irgendwem zu verletzten - wahrscheinlich war sicher auch irgendwelche Drogen im Spiel und mit dem Messer wollte die Frau bestimmt ihre eigenen schlachten weil Sie von den Drogen Hunger hatte und damit das keiner hört hat Sie die Musik so laut gemacht.

     

    Oder Sie haben gerade, die Gastgeberin eine Kostümparty, die gearde Kuchen/Pizza usw anscheiden wollte - davon aber durch Ihr Klingel abgehalten würde, so strahlend weil Sie noch mit Gästen rechnete , erschlossen und im nächsten Moment schauen dann Freunde, Kinder und Ehemann - sagen wir einfach labil an...

     

    Erst fragen, dann schiessen

     

    nochmal zum mitschreiben

     

    E r s t f r a g e n , d a n n s c h i e s s e

  • A
    anonyma

    Das ist nicht der erste Fall in dem Beamte in einer solchen Situtation schliessen.

     

    "Waffe weg!" der Ton ist sicher auf maniuliert und Lautstärke auch.

     

    Vielleicht ist die Polizei auch nicht auf den neusten Stand der Gesetze.

     

    Das sieht man zwar aber eine Augenzeugeaussage aus einem anderen Video besagt:

     

    das der Mann im Brunnen stand und sich mit dem Messer selbst in die Kehle schnitt.

     

    Brohnung ausschließlich für sich selbst.

     

    Selbstmord ist keine Straftat mehr. War eine seltsame Idee - "wie soll denn das gehen - sperren die dann die Leiche ein?"

     

    Vielleicht sollten Sie Ihre PolizistInnen dahingegen schulen, das da ein Mensch seht der dem Staat durchaus noc dienlich sein kann...

     

    Soll keine Verallgemeinerung der Polizei sein.

     

    Ich hatte schon ähnlich Notfälle:

     

    Ein Lob dem Kollegen, "Was rufen, Sie denn da die Polizei, das ist doch ein Fall für 112!"

     

     

    und im anderen half ein "Können Sie sich ausweisen?"

    und draußen war aus seinem Wahn und sagte "Gut dann geh jetzt eben Freude besuchen" ganz ruhig und friedlich.

     

    Ich bin froh, dass weder der Briefträger, Nachbarn oder sonstige eine Waffe tragen.

     

    Sieht manchmal etwas seltsam aus und dann erschrickt besagter Personenkreis erst Mal - bei Ihrem Training Herr Psychologe wär ich sicher Sieb - aber ich ziehe es vor auf der Bühne zu sterben oder andere darauf sterben zu lassen...

     

    Ich könnte jetzt kurz und knapp schreiben was in solchen Fällen - bei Demenzpatienten klappt auch sehr gut.

    Aber ich jetzt lieber Geldverdienen als weiterhin die arme Redaktion mit meinen Beiträgen zu nerven - einen noch

  • PH
    Peters Hund

    Es fehlt der Polizei, und nicht nur der Berliner Polizei, vor alle Dingen an Bürgern, die nicht bei jedem Handeln der Polizei ihren großen Korb von Vorurteilen und Beleidigungen über uns ausschütten. Das Arbeitsfeld der Polizei sind nun einmal Bedrohungslagen und Täter. Das es daneben noch ganz viel normales Leben gibt ist unbestritten aber liegt nicht im Fokus der polizeilichen Arbeit wird aber unbestritten doch von der Polizei gewährleistet.

  • HH
    Hans Hund

    "Bedrohungslagen" und "Täterprofile" bilden also die Handlungsgrundlagen des einzelnen Polizisten, selbst aus der Sicht des Püschologen.

    Kein Wunder, dass bei derartiger Vorverurteilung und verengtem Blickwinkel die Reaktionen genau so ausfallen, wie geschehen. Wenn man nur einen Hammer hat, sieht eben alles aus wie ein Nagel.

     

    Der Mann im Neptunbrunnen, übrigens, war kein "Täter", bis ihn das inzwischen eingetroffene Dutzend Ordnungshüter dazu gemacht und Sekundenbruchteile später erschossen hat. Schusswaffen waren ja in ausreichender Anzahl vorhanden. Ansonsten scheint es an so ziemlich allem gefehlt zu haben und auch weiterhin zu fehlen, bei Berlins allerschönster Polizei.