■ Interview mit Peter Glotz, SPD-Präsidiumsmitglied, über Kampfeinsätze deutscher Soldaten mit und ohne UN-Mandat: Die Angst vor der Kriegspsychose
taz: Seit sich die Regierungskoalition auf eine gemeinsame Formulierung für eine Grundgesetzänderung geeinigt hat, steht die vorher so zerstrittene SPD einmütig hinter dem Parteitagsbeschluß, der lediglich Blauhelm-Einsätze zuläßt. Wie kommt das?
Peter Glotz: Der Grund ist das, was die Koalition beschlossen hat: daß die Bundesrepublik gemeinsam mit anderen Staaten, aber unabhängig von der UNO, Kampfeinsätze beschließen kann. Ich kenne niemanden in der SPD, der dem in der jetzigen Formulierung zustimmen würde.
Eine deutsche Beteiligung an Kampfeinsätzen einer Europäischen Union hatten Sie, Herr Glotz, in der Vergangenheit stets befürwortet.
Dabei bleibe ich. Wenn es wirklich eine Europäische Union mit einer parlamentarischen Verfassung gibt, muß es auch eine europäische Sicherheitspolitik geben. Die Deutschen müssen sich dann in diesem Rahmen bewegen können. Nur: Ich gehe davon aus, daß Maastricht nicht zu solch einer Union führt. Deshalb ist das Zukunftsmusik. Zur Zeit braucht die Welt alles Mögliche dringender als deutsche Kampfeinsätze. UN-Generalsekretär Butros Ghali und andere wollen, daß wir uns voll im Rahmen der UNO engagieren. Deshalb sollten wir so rasch wie möglich die Restriktionen beseitigen, die uns noch an Blauhelm- Einsätzen hindern. Alles andere sind Fragen, die zur innenpolitischen Auseinandersetzung hochgeputscht wurden.
Ist es nicht so, daß die SPD- Führung sich nach der Asyldebatte einfach nicht mehr traut, erneut von einem Parteitagsbeschluß abzuweichen?
So taktisch darf man das nicht sehen. Die Parteiführung möchte natürlich zu Recht nicht in den Ruf kommen, serienweise Grundgesetzartikel zu ändern. Wenn die SPD regierungsfähig sein will, muß sie das Problem zwar lösen. Die Diskussion muß deshalb eindeutig weiter gehen. Der Zielpunkt dieser Diskussion muß jedoch der Parteitag Ende des Jahres sein. Da ich strikt gegen irgendwelche Kriegsspiele in Jugoslawien bin, sehe ich überhaupt keinen Druck, das Problem in den nächsten drei Monaten zu lösen. Im Unterschied zur Asylfrage kann hier von einem Druck aus der Bevölkerung überhaupt keine Rede sein. Die erdrückende Mehrheit der deutschen Mütter und Väter hat nicht den Wunsch, ihre Söhne im Zinksarg aus Bosnien oder Somalia oder sonstwoher zurückzubekommen.
Die FDP bietet Ihnen die Zweidrittelmehrheit vor bestimmten Einsätzen an.
Ich entnehme dem guten Willen, aber er führt nicht weit genug. Wenn in einem Volk eine Kriegspsychose erzeugt wird, dann pflegen Volksparteien zu reagieren. Das beste Beispiel ist das Jahr 1914 mit der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten.
Ihre Partei strebt ein Gewaltmonopol der UNO an. Sie, Herr Glotz, haben dieses Ziel kritisiert: 80 bis 100 der UNO-Mitglieder seien „ziemlich ekelhafte Diktaturen“.
Ich glaube in der Tat nicht an ein Gewaltmonopol der UNO. Trotzdem dränge ich darauf, daß deutsche Kampfeinsätze engstens begrenzt werden. Wir sollten in unser Grundgesetz die Möglichkeit aufnehmen, in Fällen von Völkermord einem bedrängten Volk zu Hilfe zu kommen, bei einer Art „übergesetzlichem Notstand“ in Gottes Namen auch ohne ein Mandat der UNO. Aber das muß auf einen Fall von 100 begrenzt sein, die absolute Ausnahme.
Können Sie Beispiele nennen?
Wir dürfen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, wir würden im Zweifelsfall eine Anti-Hitler-Koalition nicht beitreten. Auch der Massenmord, den die Türken 1915 an den Armeniern begangen haben, wäre ein Beispiel. Im Gegensatz dazu wollen wesentliche Teile der Union, daß sich die Bundesrepublik an Einsätzen wie am Golf beteiligen kann. Unter Umständen wollen sie sogar eine Operation Balkansturm. Das will ich nicht.
Bosnien ist für sie kein Fall von Völkermord?
Nein. Natürlich wird dort schrecklich hin- und hergemordet. Aber es ist keine Situation, in der ein wehrloses Volk von einem anderen Volk in die Wüste getrieben oder in Vernichtungslager verfrachtet wird. Es ist ein nationalistischer Krieg zwischen drei oder vier unterschiedlichen Völkern. Ich räume ein, daß die Serben militärisch stärker sind als die Bosniaken. Aber wenn ich nach diesem Prinzip, wie es die Bundesregierung will, Nothilfe leiste, dann bin ich übermorgen an 30 nationalistischen Kriegen in der Welt engagiert. Weil das jeden Tag vom Fernsehen gezeigt wird, reden wir alle vom bosnischen Krieg. Wir reden aber komischerweise nicht vom genauso grausamen Krieg um Kabul, auch nicht über die Auseinandersetzungen im Kaukasus, in Kambodscha oder in Birma. Für mich war es ein Aha-Erlebnis, letzte Woche Butros Ghali zu hören. Er sagte, die Diskussion über Somalia sei sein Verdienst. Er habe CNN dorthin geschickt. Das Fernsehen spielt bei der Erzeugung von Volksstimmungen eine ungeheure Rolle. Was berichtet wird und was nicht berichtet wird, das wird über die Medien, über politische Mächte und Geheimdienste ferngesteuert.
Setzt sich die SPD da nicht dem Vorwurf aus, den Greueltaten in Bosnien gleichgültig zu begegnen?
Nein. Ich räume durchaus ein, daß der bosnische Krieg zum Teil so brutal ist, daß die moralische Rechtfertigung für eine kriegerische Intervention gegeben sein könnte. Aber dies würde verlangen, daß man mit Bosnien so verfährt, wie die Alliierten mit Deutschland verfahren sind. Man müßte das Land besetzen, es womöglich über Jahre besetzt halten und über Jahre bestimmen, wie es regiert wird. Die Alternative hatten wir mit dem Golfkrieg, wo anschließend die Kurden, die Schiiten und die Palästinenser schlimmer dran waren als vorher und gleichzeitig Hunderttausende Todesopfer zu beklagen waren. Das will ich auf keinen Fall. Und ich finde es widerlich, daß in der Auseinandersetzung zwischen CDU und SPD die schrecklichen Probleme in Bosnien als Schlaginstrument für innenpolitische Platzvorteile benutzt werden. Interview: T. Bruns/H.-M. Tillack
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